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Das Licht des Orakels

Titel: Das Licht des Orakels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victoria Hanley
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nicht, wie sie das machen sollten.
    Ohne sich um die immer dichter werdenden Wolken zu kümmern, ging Kiran weiter. Es war später Nachmittag, aber es wirkte, als wäre es bereits Abend. Bald kam die längste Nacht des Jahres.
    In der Nähe des Sees begann die Haut auf Kirans Unterarmen zu prickeln, die Härchen unter dem Stoff stellten sich auf. Jack war in der Nähe, das spürte er ganz sicher, aber irgendetwas stimmte nicht. Der Hund schien bekümmert, als wollte er laufen, könnte aber nicht, wollte beißen, war aber daran gehindert, wollte bellen, hatte aber die Stimme verloren.
    Kiran folgte dem Gespür seiner Haut, dachte daran, wie Hunde ihrer Nase vertrauen und dadurch einer Spur zwischen vielen folgen können und nach Hause finden.
    Er öffnete die Tür eines kleinen Schuppens in der Nähe des Sees, der selten genutzt wurde, eigentlich nur, um während der Ernte Früchte aus dem Obstgarten zu lagern.
    Jack lag mit bebenden Flanken auf dem Lehmboden des Schuppens. Weder stand er auf, als trübes Licht hereinfiel, noch fing er an zu bellen. Er konnte nicht. Seine Beine und seine Kiefer waren zusammengebunden.
    Kiran zog ein Messer aus der Tasche seines Umhangs und beugte sich zu dem Hund nieder. Er zwang seine vor Wut bebenden Hände zur Ruhe und durchschnitt die starke, feine Schnur, mit der Jacks Schnauze zugebunden war, und dann die Seile, mit denen die Pfoten gefesselt waren. Die Zunge des armen Hunds hing heraus, als er versuchte aufzustehen. Er winselte, als die Beine, blutig vom Zerren an den Schnüren, einknickten.
    Kiran wickelte die Schnüre auf und stopfte sie in die Tasche. Dann nahm er Jack auf die Arme. Der Hund war ungefähr so schwer wie zwei Hafersäcke von fünfzig Pfund. Kiran trug ihn zum See, setzte ihn dicht am Wasser nieder und schöpfte mit der hohlen Hand Wasser für ihn. Jack schlürfte die kostbare Flüssigkeit. Wieder etwas gestärkt, kroch er vor und trank das Wasser direkt aus dem See.
    Danach fing Jack an, das Blut von seinen Beinen zu lecken. Kiran zog das Knäuel aus der Tasche und betrachtete es genau. Fein gesponnene Seide, dunkelblau in der Farbe gewöhnlicher Schülerkleidung gefärbt. Sanft hielt Kiran das Knäuel Jack vor die Nase, während er wortlos eine Frage stellte: Wer?
    Jack hob die Lefzen und zeigte die Zähne. Kiran empfing das Bild zweier junger Frauen. »Jemand hat dir einen Leckerbissen gebracht? Ich wünschte, ich könnte dir beibringen, dich nicht von Fressen bestechen zu lassen, Jack. Die haben dir die Beine gefesselt, während du gefressen hast. Und dann haben sie dir die Schnur um die Schnauze gewickelt?«
    Er wartete auf mehr Informationen über Jacks Peiniger, aber der Hund wollte ihm etwas anderes mitteilen.
    »Du hast jemand schützen wollen … es aber nicht geschafft.« Wen? Kiran erhielt einen Eindruck von Jacks großer Zuneigung für diese Person. »Du hast jemand schützen wollen, den … Bryn!« Jacks Schwanz klopfte auf den Boden. Ist ihr wehgetan worden? Der Hund schien verwirrt. Er winselte leicht und legte seine lange schwarze Schnauze an Kirans Wange.
    Kiran rief sich Bryns blasses, hoffnungsloses Gesicht vor Augen, als Ilona versuchte, sie dazu zu bringen, eine Vision aufzuschreiben. Er hatte vermutet, dass sie versuchte, die Vision von Selid zu verbergen. Bryn war still und zurückgezogen gewesen, hatte mit leerem Blick dagesessen. Und heute Morgen war sie nicht bei der Arbeit erschienen.
    Mit finsterem Gesicht stopfte er die Schnüre wieder in die Tasche.
     
    Lord Bartol Errington traf einige Tage vor der Wintersonnenwende im Tempel ein. Er nahm die Räume in Beschlag, in denen auch Königin Alessandra untergebracht gewesen war.
    Am Abend ließ Renchald Wein in einem großen Raum mit einem warmem Kaminfeuer auftragen. Errington schickte seine Diener fort, und der Meisterpriester wies seine Wache an, vor der Tür zu warten.
    Errington, vom Kormoran erwählt, war einer der wenigen vom Vogel Erwählten, die kein Priesteramt beim Orakel angestrebt hatten. Er hatte einfach nur eine Ausbildung im Tempel genossen, um seine Bildung zu verbessern, bevor er sich wieder weltlichen Angelegenheiten zuwandte.
    Der Meisterpriester zog den Korken aus der Flasche.
    »Gratulation zu dem beständigen Erfolg all Eurer Unternehmungen«, sagte Renchald, während er seinem Gast einschenkte. »Wie immer sind Euch die Götter wohl gesinnt.« Vorsichtig stellte er die Flasche wieder ab. »Erzählt mir, welche Neuigkeiten Ihr von unserer Herrscherin zu berichten

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