Das Licht des Orakels
zerrten mit vereinter Kraft. Der Damm zerbarst in Stücke, die von dem Netz aufgefangen wurden. Das aufgestaute Wasser ergoss sich in mächtigem Schwall in das Flussbett, überschwemmte die Teiche und nahm sie in seinen reinen Lauf auf.
Kraft und Energie durchströmten Kiran. Er nahm das Netz auf. Was jetzt? fragte er den Schwan.
Der Schwan führte ihn aus seiner Landschaft hinaus.
Kiran trug das Netz und folgte ihm bis hinter seine inneren Barrieren. Er verstand, dass er den Fluch nicht in der Abanya zurücklassen durfte. Er wollte versuchen, ihn in die äußere Welt mitzunehmen.
Ich danke dir!, sagte er zu dem Schwan. Vielen Dank!
Schwarze Federn schimmerten, als der Schwan sich in die Lüfte erhob und davonflog.
Kiran schickte seinen Traumkörper wieder zurück in den Wagen, der auf dem Weg zum Tempel des Orakels war. Und als er die Abanya verließ, lösten sich das Netz und die Steine darin auf und verschwanden.
23
Renchald bedauerte es, wegen Lord Errington auf eine schnelle Rückkehr zum Tempel drängen zu müssen. In geruhsamer Geschwindigkeit zu reisen, wäre angemessener gewesen. Andererseits war es gut zu wissen, dass er und Bolivar getan hatten, was zu tun war. Und Clea hatte Kiran unterworfen, bevor sie mit der Ersten Priesterin weiter nach Zornowel geeilt war.
Während der nächtlichen Fahrt durch die Lydenwüste blieb der Meisterpriester wach, aber er konnte den größten Teil des nächsten Tages in der Kutsche schlafen. Am späten Nachmittag erwachte er. An der Landschaft erkannte er, dass der Tempel noch innerhalb der nächsten Stunde auftauchen würde. Er nutzte das Alleinsein, um über die Ereignisse der letzten beiden Jahre nachzudenken.
Das Verhalten nur einiger weniger aufsässiger Schüler hatte seine Arbeit ungeheuer erschwert. Doch jetzt würde wieder Ruhe einkehren: Selid im Jenseits, Kiran unter einem abgesegneten Fügsamkeitsfluch und Bryn bald für immer vom Wind abgeschottet.
Renchald seufzte. Es war bedauerlich, dass die vom Kardinal erwählte Helferin ihren eigenen fehlgeleiteten Ansichten gefolgt war, anstatt dem Tempel zu dienen.
Aber die Götter hatten es so gewollt. Was ihren Mann betraf, so war es schon ein Jammer, dass sie ihn mit hineingezogen hatte. Eigentlich missbilligte Renchald das Töten Außenstehender, doch das Leben eines Mannes war unwichtig im Vergleich zum Ruf des Tempels. Hätte er den Schreiner am Leben gelassen, hätte dieser leicht Unruhe stiften können. Der Tempel konnte es sich nicht leisten, schlecht angesehen zu sein.
Beim Tempel angekommen, stieg der Meisterpriester aus der Kutsche. Dankbar blickte er auf die Farben des Sonnenuntergangs. Solz’ tägliches Geschenk an Schönheit erinnerte immer wieder an die Erhabenheit aller Götter.
Er entließ Bolivar, damit dieser seinen bitter nötigen Schlaf nachholen konnte. Der Hauptmann der Tempelwache war während der ganzen langen Reise wach und aufmerksam gewesen.
Alamar kam zur Wagenremise, um den Meisterpriester zu begrüßen. »Während Eurer Abwesenheit ist Lord Errington eingetroffen.«
»Aha.« Er hatte Obsidian entdeckt, der von sechs müden Soldaten, die alle einen Strick in der Hand hielten, auf die Weide geführt wurde.
»Er war beunruhigt, als er erfuhr, dass seine Tochter nicht anwesend ist, Euer Ehren«, sagte Alamar.
»Schickt ihn sofort zu mir.« Der Meisterpriester hätte sich lieber noch etwas frisch gemacht, doch er hielt es für besser, zuerst Lord Errington zu besänftigen.
Renchald sah Kiran aus dem Wagen krabbeln, in dem er gefangen gehalten worden war. Der große Helfer hatte seine anmaßende Haltung abgelegt und sprach höflich mit seinem Wächter, einem jungen Krieger mit Namen Finian. Renchald sah ihn an und gab ihm ein Zeichen.
Als Kiran es lammfromm zuließ, dass die Wache ihn am Ellbogen ergriff, tadelte sich der Meisterpriester selbst dafür, dass es ihn freute, Kiran so unterworfen zu sehen.
Sein Gewissen regte sich leise bei dem Gedanken daran, wie schwer er Kirans Barrieren geschädigt hatte. Es war ein Wunder, dass der junge Mann überhaupt aufrecht gehen konnte. Da nun ein Fügsamkeitsfluch auf ihm lag, nahm sich Renchald vor, Kirans Barrieren bald wieder zu reparieren. Ja, noch an diesem Abend, sobald er Lord Errington besänftigt hatte.
»Danke, Finian«, sagte Renchald zu dem Soldaten.
»Geh nun und ruh dich aus.«
Finian salutierte und stapfte gerade in dem Moment davon, als Brock, der von der Eule erwählte Sohn des Schmieds, um die Ecke
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