Das Licht ferner Tage
Muskeln zerrissen und Knochen zersplittert. Er hatte es nur einem glücklichen Zufall zu verdanken, dass die Kugel nicht ins Herz gedrungen war. Hirams Sanitäter hatten Bobby unter Vollnarkose versorgen wollen, doch mit einem Blick auf Hiram hatte Bobby sich geweigert und die schmerzhafte Behandlung bei vollem Bewusstsein über sich ergehen lassen.
Hiram schritt durch die menschenleere Halle, vorbei an mächtigen Maschinen. Mae Wilson und die anderen Wachen umringten Bobby und Kate. Ein paar der Männer gingen sogar rückwärts, um die Gefangenen im Blick zu haben und ihnen klarzumachen, dass ein Fluchtversuch illusorisch wäre.
Das Gesicht Hirams war eingefallen, und er machte einen gehetzten Eindruck. Bestimmt arbeitete er wieder einmal an einem neuen Projekt. Sein Verhalten war seltsam und wies zwanghafte Züge auf: wie das eines Menschen, der zu lang allein gewesen war. Er ist selbst Gegenstand eines Experiments, sagte sich Kate: Ein Mensch ohne Freunde, der sich vor der Dunkelheit fürchtet und den mehr oder weniger feindseligen Blicken der Weltbevölkerung ausgesetzt ist. Deren Augen waren überall. Er wurde langsam, aber sicher von einer Maschine zerstört, die er sich nicht hatte träumen lassen, die er nicht gewollt und deren Weiterungen er vermutlich immer noch nicht begriffen hatte. Wenn von allen Menschen der Geschichte jemand ein Recht auf Paranoia hatte, sagte sie sich mit einem Anflug von Mitgefühl, dann er.
Sie würde ihm jedoch nie verzeihen, was er ihr – und Bobby – angetan hatte. Was Hiram wohl mit ihnen vorhatte, nachdem sein Sohn ihm in die Falle gegangen war?
Bobby hielt Kates Hand, damit das Band zwischen ihnen nicht zerriss. Trotz der Beschützerpose lehnte er sich unmerklich gegen sie und zehrte von ihrer Kraft, die sie ihm nur zu gern spendete.
Sie kamen in einen Bereich des Wurmwerks, den Kate noch nie gesehen hatte. Man hatte dort eine Art Bunker errichtet, einen halb im Boden versenkten massiven Kubus. Das Innere war hell erleuchtet. In eine Wand war eine Tür mit einem massiven Stellrad eingelassen, die an ein U-Boot-Schott erinnerte.
Bobby ging zögernd weiter, ohne Kates Hand loszulassen. »Was ist das, Hiram? Warum hast du uns hierher gebracht?«
»Eine rustikale Anlage, nicht wahr?« Hiram grinste und hieb klatschend gegen die Wand. »Wir haben uns Ausrüstung von der alten NORAD-Basis ausgeliehen, die das Militär in den Bergen von Colorado errichtet hatte. Dieser verdammte Bunker ist auf mächtigen Sprungfedern montiert.«
»Und zu welchem Zweck? Um einen Nuklearangriff zu überstehen?«
»Nein. Diese Wände sollen nicht vor einer Explosion von außen schützen. Sie sollen verhindern, dass die Gewalt einer Explosion nach außen dringt.«
Bobby runzelte die Stirn. »Wovon sprichst du überhaupt?«
»Von der Zukunft. Von der Zukunft von OurWorld. Unsrer Zukunft, mein Sohn.«
»Ein paar Leute wissen, dass ich hier bin. David und Mary. Auch Spezialagent Mavens vom FBI. Sie werden bald auftauchen. Und dann werde ich hier hinausspazieren. Mit ihr.«
Kate beobachtete, wie Hirams taxierender Blick von einem zum andern schweifte. »Du hast natürlich Recht«, sagte er. »Ich kann euch nicht festhalten. Aber es würde mir Spaß machen, es zu versuchen. Gebt mir noch fünf Minuten. Hör dir an, was ich zu sagen habe, Bobby.« Er rang sich ein Lächeln ab.
»Mehr willst du nicht?« fragte Bobby ungläubig. »Mich nur von etwas überzeugen? Das soll alles sein?«
»Ich zeige es dir.« Mit einem Kopfnicken bedeutete er der Knüppelgarde, Bobby und Kate in den Bunker zu bringen.
Die Wände bestanden aus massivem Stahl. Das Innere war mit Gerät angefüllt, sodass nur Platz für Hiram, Kate, Bobby und Wilson blieb.
Kate sah sich um. Ihre Nerven waren bis zum Zerreißen angespannt. Sie befand sich offensichtlich in einem Versuchslabor: Es gab Tafeln, Pinwände, SoftScreens, Klappstühle und an der Wand befestigte Tische. In der Mitte des Raums war die Apparatur aufgebaut, der Hirams Interesse vermutlich galt: Es schien sich um einen Wärmetauscher, eine kleine Turbine und andere Ausrüstungsgegenstände in unbeschrifteten weißen Kisten zu handeln. Auf einem der Tische stand eine halb leere Tasse, in der noch Kaffee dampfte.
Hiram trat in die Mitte des Bunkers. »Wir haben das Monopol auf die WurmCam schneller verloren, als mir lieb war. Aber wir haben viel Geld gemacht und machen noch mehr; auf der ganzen Welt gibt es noch immer keine Anlage, die dem Wurmwerk vergleichbar
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