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Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)

Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)

Titel: Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Plaschka
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Chaos, dass sie weder Freund noch Feind erkannte, doch für Schneeklinge machte es keinen Unterschied. Jede ihrer Bewegungen kam automatisch wie bei einer Tänzerin. Jede Sehne ihres Körpers war zum Zerreißen gespannt, ihre Haut von Ruß und Blut ganz verklebt, doch sie wusste nicht, wessen Blut. Das blütenweiße Metall schrieb seine Gedichte vor ihr in die Nacht, sprach tödliche Verwünschungen, die ihre Gegner auf einen Wink ihres Arms hin fällten, und erst fiel April gar nicht auf, dass es nicht weniger, sondern immer mehr wurden.
    Zu ihrer Linken sah sie Janner durch das Tor stoßen und immer tiefer in das Lager eindringen. Ihre Gruppen waren noch gut fünfzig Schritt auseinander, doch schafften sie es mit vereinten Kräften, die Gegner zurückzudrängen. Trotzdem kämpften sie wie gegen eine starke Strömung an, und die Wogen türmten sich immer weiter auf.
    Janner hielt Banneisen mit beiden Händen gepackt und legte einen Kreis der Vernichtung um sich. Auch die übrigen Männer suchten sich ihre Gegner. Doch es wurden immer mehr Soldaten, und sie gaben nicht auf.
    »Eine Falle!«, rief da jemand neben ihr. »Es ist eine Falle!«
    Sie sah die Pherenidin, weit vor sich in der Menge, die flink wie ein Weberschiffchen zwischen den Gegnern hindurchtauchte, und die Spur, die sie zog, war aus Leichen. April begriff, was sie vorhatte: Sie wollte sich einen Weg bis zu den hinteren Gebäuden bahnen. Dort, tief in der Felswand, befand sich aller Voraussicht nach die Schatzkammer.
    Kurz erwog April, umzukehren. Doch es war schon zu spät – ein geordneter Rückzug war nicht mehr möglich. Weder konnte sie sich in dem Geschrei und Stahlgeklirr verständlich machen, noch in der rauchverhangenen Luft orientieren und sehen, wie viele ihrer Leute noch lebten und wo sie sich befanden. Sie kämpfte fast blind, immer weiter.
    Es hieß alles oder nichts.
    Mit einem zornigen Aufschrei drang sie weiter vor. Schneeklinge bahnte ihr den Weg zum Hauptgebäude, und dann sah sie in der Menge auf einmal eine Gestalt auftauchen, die nicht hätte da sein sollen. Sie sah sie mit schrecklicher Klarheit: weiß und fremdartig wie ein geflügeltes Pferd, nur dass es kein Pferd war, das diese Mähne aus Licht hinter sich herzog, in einem Harnisch aus gebürstetem Stahl, die Arme ausgebreitet wie Schwingen; in den Händen ein geflammtes Schwert, mal links, mal rechts, die Klinge wie aus einem Blitz geschnitten, die Augen dahinter zwei geisterhafte Scheiben, in denen sich die Feuer spiegelten.
    Es war ein Eolyn. Es war der Eolyn – der Fremde vom Jahrmarkt – und er lächelte ihr zu, während er mühelos durch die Reihen der Gegner schritt und Männer auf seine gleißende Klinge spießte wie Trauben. Er erntete sie. Zurück blieb nur ein blutiger Pfad, von verstümmelten Leibern gesäumt; geknickte Reben in einem Weinberg.
    April sah es, und glaubte es doch nicht; zwei Sekunden, drei vielleicht, in denen Schneeklinge ihr mehrfach das Leben rettete. Der Rauch zog sich zusammen, sie konnte einen Moment nichts mehr sehen und bekam Angst, und dann verzog sich der Rauch wieder und der Spuk war vorbei.
    Vereinzelt hörte sie noch das Klirren von Schwertern. Dann parierte sie einen Schlag und fällte den letzten Gegner – und als sie das nächste Mal den Blick umherschweifen ließ, war niemand mehr da, gegen den sie noch hätte kämpfen können.

OFFENE RECHNUNGEN
    A ußer Niesel hatten sie noch neun weitere Männer verloren. Von insgesamt zweiundzwanzig hatten nur zwölf den Angriff auf das Lager überlebt, und die Hälfte derer war so schwer verwundet, dass sie sich nicht mehr auf den Beinen halten konnten.
    Von der pherenidischen Besatzung war niemand mehr übrig. Falls Soldaten versucht hatten, sich zu ergeben, waren sie in dem allgemeinen Wahnsinn nicht gehört worden, oder aber sie hatten gezögert, bis es zu spät für sie war.
    Das Lager war ein einziges Leichenfeld. Sie hatten mit einer Besatzung von um die zwanzig Mann gerechnet, doch es waren sicher mehr als fünfzig gewesen. Sie hatten einen fairen Kampf liefern wollen, stattdessen hatten sie alle umgebracht. Janners Hände schmerzten, als hätte er den ganzen Tag Hammer und Meißel geschwungen, und Banneisen schien zu glühen wie ein dunkelroter Lavastrom.
    Sie hatten eine furchtbare Tat begangen, sagte eine Stimme aus seiner Kindheit in ihm. Es war ein Scheißsieg, sagte eine andere, die entfernt nach Lucius Vargo klang. Er hätte gerne die Stimme seines Vaters gehört, doch er

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