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Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)

Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)

Titel: Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Plaschka
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Cassiopeia den offenen Platz vor dem großen Zelt des Kaisers. In der Ferne hörte sie das Krächzen von Vögeln. Ein großer Krähenschwarm hielt sich seit nunmehr zwei Tagen in der Nähe, und sie fragte sich, ob Lesardre etwas damit zu tun hatte. Sie hatte ihn seit Melnor nicht mehr in Eolyngestalt gesehen, denn er war auf dem Landweg gereist und hatte sich nur gelegentlich den Schiffen genähert, wenn sie in Küstennähe fuhren. Auch Dougal war seit ihrer Ankunft verschwunden. Sie konnte nur annehmen, dass die beiden unsterblichen Kreaturen einander belauerten, vielleicht darauf warteten, wer den ersten Schlag führen würde. Waren sie inzwischen die einzigen ihrer Art, die letzten Nachfahren des Ersten, der vorvielen Jahrhunderten seine Gestalt aufgab und sich hinter einem Dutzend neuer verbarg? Oder jagten sie noch ihre verbliebenen Kinder?
    Es hatte mehrere Tote auf den Schiffen gegeben, die nichts mit den Strapazen der Überfahrt zu tun gehabt hatten. Einen Mann hatte man erst entdeckt, als er schon im Wasser trieb, und es war nicht mehr zu unterscheiden gewesen, ob die Bisswunden an seinem Hals zu seinem Tod geführt hatten oder ihm erst danach von einem Raubfisch zugefügt worden waren. Einen anderen hatte man komplett seines Blutes beraubt im Lagerraum aufgefunden, und schnell machte die Rede vom einem Fluch die Runde. Auch hier an Land waren einige Männer verschwunden.
    Cassiopeia vermutete, dass es sich um Übergriffe entweder Dougals oder Lesardres handelte, die der andere, wenn er sich dazu bemüßigt fühlte, zu vertuschen versuchte, damit keine Panik ausbrach. Sie hielt diese Opfer jedoch für wenig mehr als einen makabren Zeitvertreib. Es war, als spielten die beiden Wechselbälger Mühle und nähmen hier und da noch einen Stein vom Brett; ein letztes Spiel, ehe die Falle sich schloss und die große Vereinigung sich vollzog.
    Diese Stunde konnte nicht mehr fern sein – und der Gedanke, was für einem Wesen sie dann würde entgegentreten müssen, bereitete ihr Sorgen.
    Noch mehr Sorgen machte ihr aber, dass sie bislang alleine hier waren. Alles, was sie auf ihren heimlichen Ausflügen entdeckt hatte, waren ein paar Pferdespuren östlich des Lagers gewesen. Sie führten zu einem zerstörten Steinkreis, der den markantesten Punkt der Umgebung darstellte, aber keine sichtliche Funktion mehr erfüllte, und dann weiter nach Norden.
    Dabei war dies zweifellos der Ort, den Lesardre gemeint hatte – der Ort, an dem der Erste sein Leben ließ und sich der letzte Kampf vollziehen würde: Geador – der Turm. Jeder Stein der fünfeckigen Festung, jedes Sandkorn zu ihren Füßen, jeder Windhauch in dem bleichen Gras atmete vor Erwartung, dass Vergangenheitzur Zukunft, die Geschichte sich wiederholen würde. Wo aber war April? Und, drängender noch: Wo war das Schwert?
    War es möglich, dass das Mädchen sie getäuscht hatte – oder hatte ihr Zauberer etwas mit ihr angestellt? Wenn er wirklich mit dem Orden in der Festung in Verbindung stand, war ihm alles zuzutrauen.
    Sie bedauerte nun, das Schwert nicht gewaltsam an sich gebracht zu haben, und hoffte, sie hatte Lesardres Vertrauen in sie nicht enttäuscht.
    Er war der einzige Verbündete, der ihr blieb.

    Einer der Leibsklaven des Kaisers kam ihr entgegen und riss sie aus ihren Gedanken. »Der Kaiser erwartet Euch«, drängte er. »Er ist sehr ungehalten.«
    »Ich weiß schon«, sagte Cassiopeia und folgte ihm ins Zelt. Der Kaiser saß umringt von seinem Gefolge auf einem einfachen Klappstuhl. Der Tisch vor ihm war derselbe wie in Damosfels, wahrscheinlich das größte zusammenhängende Stück Holz, das nicht den Weg auf die Baustelle gefunden hatte. Sein Frühstück hatte er bereits beendet; in den Händen hielt er einen Kelch mit roter Flüssigkeit.
    Als Cassiopeia eintrat, sah er auf und winkte sie zu sich. Er hob seinen Kelch und bedeutete ihr, sich an einer Karaffe auf dem Tisch zu bedienen. Cassiopeia zögerte kurz, dann gehorchte sie und schenkte sich ein. Sie wusste mittlerweile, dass der Kaiser immer etwas Blut in seinen Wein mischte, weil es ihn nach Meinung seiner Ärzte jung und bei Kräften hielt. Daher führte sie ihren Kelch nur an die Lippen, trank aber nicht.
    Die Leibgarde des Kaisers verfolgte jede ihrer Bewegungen ganz genau, Neoris Rodus jedoch schien die Unhöflichkeit nicht aufzufallen.
    »Cassiopeia Tial«, richtete er das Wort an sie. »Es freut mich,dass du uns noch die Ehre erweist. Sag, hält mein Lager viele Zerstreuungen für

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