Das Licht in Buddhas Spiegel - Neal Carey 2
Männer warteten draußen, patroullierten auf dem Bürgersteig und observierten jeden eintretenden Gast.
»Lokalkolorit«, entgegnete Chin. »Ich dachte, das gefällt Ihnen.«
Neal sah sich in dem großen Raum um. Alle Gäste waren Männer, meist ältere, und hatten leuchtendbunte Singvögel in Bambuskäfigen bei sich. Einige der Käfige sahen aus, als kosteten sie ein kleines Vermögen. In die Stäbe waren Drachen eingraviert, die in leuchtenden Farben ausgemalt waren. Manche hatten kleine Schaukeln mit Goldketten und Elfenbeinhölzchen. Ein paar wirklich alte Männer hatten ihre Tierchen stolz auf die Handgelenke gesetzt. Die Vögel – und Neal glaubte, es waren hunderte – sangen einander zu, jedes Tremolo inspirierte einen Antwort-Choral. Während die Vögel sangen, plauderten die alten Männer angeregt miteinander, zweifellos erzählten sie sich Vögel-Anekdoten. Die Männer schienen einander genauso gut zu kennen wie die Vögel, und allen gefiel der Ausflug sichtlich. Das Teehaus war ein buntes Chaos aus Geräuschen und Farben, aber Neal fiel auf, daß es nicht wirklich laut war.
»Ist ja toll hier«, sagte Neal.
»Es gab sie in ganz Hongkong«, sagte Ben, »aber die alten Männer halten keine Vögel mehr. Jetzt gibt es nur noch ein paar Vogel-Teehäuser.«
Ein Kellner kam, wischte den Tisch mit einem nassen Tuch ab und stellte zwei Teeschalen darauf.
»Was für einen Tee möchten Sie?« fragte Chin.
»Bestellen Sie für mich«, entgegnete Neal, der ungefähr eine Tasse im Jahr trank und nur ahnte, daß es mehr als eine Sorte Tee gab.
»Wollen mal sehen… Sie sind müde, müssen sich aber konzentrieren, ich denke, vielleicht ein Chi Chou Tee.« Er sagte zum Kellner: »Ti’ kuan yin cha.«
»Houde.«
»Ich habe einen sehr schwarzen Oolongtee bestellt. Der wird Sie wachhalten, wachsam.«
»Das wäre eine nette Abwechslung. Was tun wir jetzt?«
»Aufgeben.«
»Geht nicht.«
»Warum nicht?«
Neal lauschte der Vogel-Kakophonie, dem Getratsche, dem Klirren der Tassen, bevor er antwortete.
»Es suchen noch andere nach ihr und ihrem Freund. Ich vermute, dieselben Leute suchen auch nach mir. Sie meinen es nicht besonders gut – sie wollen sie umbringen, ihren Freund, und mich vielleicht auch. Ich weiß nicht warum. Ich weiß, daß ich sie finden muß, warnen muß, herausfinden muß, worum es geht, bevor ich wieder zu mein normales Leben zurückkehren kann.«
Ein normales Leben. Klar.
»Wie sind Sie in diese Sache verwickelt worden?«
Neal schüttelte den Kopf.
Chin versuchte es anders. »Mark sagte, es sei eine Drogensache.«
»Ich glaube nicht.«
Der Kellner kam zurück und stellte eine Teekanne auf den Tisch. Chin nahm den Deckel ab, schnupperte, setzte den Deckel wieder darauf. Er goß erst Neal ein, dann sich selbst.
Neal nahm einen Schluck Tee. Er war stark, etwas rauchig und bitter, aber er fühlte sich gut an, warm und geschmeidig. Ihm fiel auf, daß er nicht aufgehört hatte, sich zu bewegen, seit die Kugel ihn knapp verfehlt hatte, und daß er ohne Plan durchs Dunkle taumelte, sich bewegte, bloß um in Bewegung zu bleiben, Vermutungen auf Vermutungen baute, nicht auf Tatsachen.
Er nahm noch einen Schluck. Also, was weißt du? fragte er sich selbst. Du weißt, daß Li Lan und Pendleton dir wieder entwischt sind. Halt. Dir entwischt sind? Warum glaubst du, daß du was damit zu tun hast? Vielleicht wußten sie schon, daß sie in Gefahr sind, und davor laufen sie weg. Laufen? Vielleicht laufen sie gar nicht. Vielleicht sind sie nur nach Hongkong zurückgekehrt und einfach umgezogen. Das Ein-Zimmer-Appartement war selbst für Liebende zu klein.
Also, wie kannst du sie finden? Sie sind in der am dichtesten besiedelten Gegend der am dichtesten besiedelten Stadt der Welt verschwunden. Wie kannst du sie finden?
Gar nicht. Aber du kannst dich finden lassen.
Er sah von seiner Tasse auf und sah, daß Chin sich ebenfalls zurücklehnte und entspannte. Er schien sich nicht an Neals Schweigen zu stören. Er trank einfach nur Tee.
Du kannst dich von ihnen finden lassen, sagte Neal sich. Warum sollten sie das wollen? Hängt davon ab, wer »sie« sind. Wenn »sie« Li und Pendleton sind, könnten sie dich finden wollen, weil du sie so sehr nervst, daß sie sich um dich kümmern müssen. Wenn »sie« dieselben Leute sind, die beinahe deinen Aufenthalt in Mill Valley verlängert hätten, finden sie dich vielleicht, weil sie dich finden können, und weil sie ein loses Ende abschneiden wollen.
Das
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