Das Licht in Buddhas Spiegel - Neal Carey 2
Ihre Interpretation, und ich habe meine. Eine ist nicht besser oder schlechter als die andere. Wir haben beide recht.«
Wu kicherte und schüttelte den Kopf. »Was Sie sagen, ist unmöglich. Gedanken sind entweder richtig oder falsch. Zwei verschiedene Interpretationen können nicht richtig sein. Eine muß richtig sein, die andere falsch.«
»An der Columbia würden sie Sie lieben.«
»Ja?«
»Fuck, ja.«
Wu lachte, aber dann schaute er ernst drein und sagte: »Sie machen sich über mich lustig, aber ich glaube, das ist der Unterschied zwischen unseren zwei Kulturen. Ich glaube, daß falsche Gedanken zu falschen Handlungen führen. Deswegen ist es sehr wichtig, daß die Menschen lernen, richtig zu denken. Woher sollen sie sonst wissen, wie man richtig handelt? Ich glaube, in Ihrer Gesellschaft glaubt man, daß es schlecht ist, auf richtigen Gedanken zu bestehen, aber wenn Ihre Leute nicht lernen, richtig zu denken, handeln sie falsch. Deswegen haben Sie soviel Verbrechen, und wir nicht.«
Neal hätte beinahe gesagt, deswegen hatte China die Kulturrevolution und die Staaten nicht, aber er verkniff es sich. Er wollte Wu nicht reizen.
»Wir glauben bloß nicht, daß es nur einen Weg zu denken gibt.«
»Genau.«
»Ich habe einen richtigen Gedanken«, sagte Neal.
»Was für einen?«
»Lassen Sie uns heute abend essen gehen. Können Sie das arrangieren?«
»Ich habe dafür kein Geld«, sagte Wu traurig.
»Ich schon«, sagte Neal. Mr. Frazier war mit genug Kohle nach China gekommen.
»Dann ist Ihr Gedanke richtig, denke ich«, antwortete Wu. »Möchten Sie im Hibiscus essen?«
»Wie Sie meinen.«
»Es ist das beste.«
»Dann im Hibiscus.«
Vor dem Hibiscus wurde aber noch besichtigt.
»In Chengdu kann man in ganz China am besten essen«, sagte Wu. Er hatte mehr als ein maotai getrunken. »Und im Hibiscus kann man in ganz Chengdu am besten essen.«
Neal würde das nicht bestreiten. Obwohl das Hibiscus aussah wie ein chinesisches Restaurant in Providence, Rhode Island. Eine Tür führte in einen großen Saal, in dem runde Tische mit Plastikdecken standen. Neal wollte gerade durch die Tür gehen, aber Wu erklärte, daß der Raum nur für Chinesen sei; ausländische Gäste aßen in einem privaten Dining-Room im ersten Stock.
»Was ist der Unterschied?« fragte Neal.
»Privat.«
Yeah, stimmt. Privat und die Preise. Nicht, daß es ihn kümmerte; die Chinesen hatten ihm schließlich das Geld gegeben, Mr. Frazier zu spielen.
Also stiegen sie die Treppe hinauf. In dem Raum gab es drei Tische, aber nur einer war gedeckt. Auf einem weißen Leinentuch stand schwarzes Geschirr, schwarz emaillierte Stäbchen mit blau-goldenen Verzierungen lagen auf den Tellern. Leinenservietten waren zusammengerollt und mit schwarzen Ringen umschlossen, schwarze China-Schalen vervollständigten das Service. Die Wände waren weiß gestrichen, einige Kohlezeichnungen von Bambusblättern und Hibiscusblüten auf gerahmtem Reispapier waren aufgehängt.
Neal tat so, als bemerkte er die Ratte nicht, die über den Boden huschte; jemand aus New York, dachte er, stört sich ohnehin nicht an Ratten in Restaurants.
Und Ratten kennen sowieso immer die besten Plätze, denn das Essen war phantastisch. Das Bankett begann mit einer einzelnen Tasse Tee, wie Neal sie noch nie zuvor getrunken hatte, gefolgt von einem Glas maotai. Neal fiel auf, daß Wu offenbar nicht viel trank, denn sein Gesicht wurde violett, und er mußte sich Mühe geben, nicht zu keuchen. Neal hatte seit vier Monaten nichts getrunken, und es tat gut – wie ein Brief von einem alten Freund.
Den Drinks folgte eine Parade Horsd’oeuvres: eingelegtes Gemüse, kleine mantou mit Fleisch, Teigtaschen mit Schwein, und einige andere Dinge, die Neal nicht erkannte und nach denen er nicht fragen wollte. Wu wählte die besten Stücke aus und legte sie auf Neals Teller, was schwieriger wurde, je mehr maotai verschwand. Die letzten Appetizer waren kleine Pasteten mit roter Bohnenpaste, an die sich Neal von Li Lans Dinner erinnerte.
Nun kamen die Hauptgerichte: Entenscheiben, zweimal gekochtes Schwein, ein ganzer Fisch in brauner Sauce, gedämpftes Gemüse, eine Schale kalte Nudeln in Sesamsauce. Zwischen den Gängen gab es kleine Schalen dünner Brühe, die den Mund kühlte und das Geschmackszentrum reinigte. Irgendwann brachte der Kellner Huhn mit roten Pfefferschoten und Erdnüssen – noch ein Hit von Li Lan. Neal hoffte bloß, daß es im Hibiscus keinen Jacuzzi gab, an dem die
Weitere Kostenlose Bücher