Das Licht Von Atlantis
Bitterkeit, die ihr Glück zerriss. Sie hatte drei Tage lang gewartet, und immer noch war sie sich nicht sicher, ob sie ihre letzte Pflicht an dem Mann, den sie liebte, erfüllen konnte, ohne dass Körper oder Geist ihr den Dienst versagten. Sie verweilte noch einen Moment, sah prüfend auf die Gesichtszüge Micails, so unausgeprägt sie auch sein mochten, und suchte nach Ähnlichkeiten mit seinem Vater. Sie unterdrückte ein Schluchzen und küsste den rötlichen Flaum auf seiner feinen Stirn.
Endlich hob sie stolz den Kopf, ging zur Tür und verließ ihre Wohnung, Micail in den Armen. Ihr Schritt war sicher, ihr Gang verriet nichts von ihrer Angst.
Ein Gefühl schwerer Schuld lastete auf ihr. Aus Selbstsucht hatte sie sich diese drei Tage gegönnt, und deshalb hatte ein von Schmerzen geplagter Mann am Leben bleiben müssen. Selbst jetzt ging sie nur unwillig dorthin, weil sie ihr Wort gegeben hatte, aber zugleich quälte sie sich mit Selbstverachtung. Micail wimmerte plötzlich protestierend, und da merkte sie erst, dass sie ihn viel zu fest an die Brust drückte.
Langsam schritt sie weiter und nahm nur undeutlich die leuchtende Farbenpracht der Gärten wahr. Wohl zog sie gewissenhaft die Decke schützend über den Kopf ihres Kindes, aber sie dachte nur an Micons dunkles, ausgemergeltes Gesicht, fühlte nur die Bitterkeit ihres Schmerzes.
Der Weg zu Micon war nicht weit, aber Domaris kam es vor, als ginge sie bis ans Ende der Welt. Mit jedem Schritt ließ sie mehr von ihrer Jugend zurück. Aber mit der Zeit klärte sich die Verwirrung ihrer Gedanken und Gefühle, und als sie Micons Wohnung betrat, hatte sie sich wieder gefasst. Ihr wurde leicht schwindelig, denn ihr war klar: Jetzt gibt es kein Zurück mehr . In Wahrheit hatte es niemals ein Zurück für sie gegeben.
Ihre Augen gingen suchend durch den Raum, Kummer und Verzweiflung lagen auf ihrem Gesicht. Der jammervolle Anblick der Schwester würgte Deoris in der Kehle. Rajastas Augen waren voller Mitleid, und sogar Rivedas verkniffener Mund verlor etwas von seiner Strenge. Domaris sah es, und aus Zorn bekam sie neue Kraft, denn sie deutete seine Anteilnahme völlig falsch.
Stolz richtete sie sich auf, das Kind in den Armen. Ihr Blick ruhte auf Micons erschöpftem Gesicht; alles andere versuchte sie zu vergessen. Nun war der Augenblick ihres schweren Opfers gekommen; jetzt musste sie mehr geben als sich selbst, durch ihr eigenes Handeln alle Hoffnungen für ihre Zukunft fahren lassen. Schweigend trat sie zu ihm. Die Veränderung, die innerhalb weniger Tage mit ihm vorgegangen war, traf sie wie ein Schlag.
Bis zu diesem Augenblick hatte Domaris sich an die schwache Hoffnung geklammert, Micon werde ihr erhalten bleiben, wenn auch nur noch für kurze Zeit... Jetzt sah sie, dass sie sich getäuscht hatte.
Lange blickte sie auf ihn nieder, und jeder Zug von Micons leidvollem, edlen Gesicht brannte sich mit bitterer Qual für immer in ihr Gedächtnis ein.
Micon öffnete die blinden Augen. Es war, als ob er sähe, denn - obwohl Domaris nicht gesprochen hatte und ihr Eintritt mit Schweigen begrüßt worden war -, sprach er sie an. »Bringerin des Lichts«, flüsterte er, und es lag mehr in seiner Stimme, als Worte ausdrücken können. »Gib mir - unseren Sohn!«
Domaris kniete nieder, und Rajasta half Micon vorsichtig dabei, sich aufzusetzen. Domaris legte das Kind in seine hageren Arme und murmelte Worte, die eigentlich wenig aussagten, aber für den Sterbenden eine tiefe Bedeutung hatten: »Unser Sohn, Geliebter - unser vollkommener kleiner Sohn.«
Micons Finger glitten leicht und zärtlich über das kleine Gesicht. Sein eigenes Antlitz, einer zerbrechlichen wächsernen Totenmaske gleich, neigte sich über das Kind. Tränen sammelten sich und tropften aus seinen blinden Augen. Er seufzte sehnsüchtig. »Wenn ich meinen Sohn - nur einmal sehen könnte!«
Ein harter Laut wie ein Schluchzen brach die Stille, und Domaris hob verwundert die Augen. Rajasta war stumm wie eine Statue, und aus Deoris' Kehle hätte ein solcher Ton nie kommen können...
»Meine Geliebte -« Micons Stimme wurde etwas kräftiger. »Eine Aufgabe bleibt noch zu erfüllen. Rajasta«, wandte er sich an den Priester, »dir fällt es zu, meinen Sohn zu leiten und zu bewachen.« So sprach er und reichte Rajasta das Kind. Sofort barg Domaris Micons Kopf an ihrer Brust. Schwach lächelnd entzog er sich ihr. »Nein«, sagte er mit großer Zärtlichkeit. »Ich bin müde, Geliebte. Lass mich nun
Weitere Kostenlose Bücher