Das Licht von Shambala
unvermögend. Immer wieder wurden neue, reich bestückte Platten herangetragen, von denen die Gäste zunächst zaghaft, dann jedoch immer beherzter zugriffen.
Nach dem Essen wurde die hookah gereicht, und es gab Schnaps zu trinken, den der Radscha, wie er stolz versicherte, in seiner eigenen Brennerei herstellen ließ, der jedoch den Geschmack - und wohl auch die Eigenschaften - von reinem Spiritus hatte.
Der Radscha selbst sprach nicht nur seinem eigenen Gesöff zu, sondern auch dem Wodka, den Abramowitsch ihm geschenkt hatte, und wurde darob immer leutseliger. War es zu Beginn des Mahles nur Hieronymos gestattet gewesen, ihn direkt anzusprechen, lockerten sich die Umgangsformen im Lauf des Abends zusehends. Auf Seidenkissen am Ende der Tafel thronend, bot der Herrscher von Bashar mit fortschreitender Uhrzeit einen immer despektierlicheren Anblick, während Hieronymos, der den Ehrenplatz zu seiner Rechten hatte, reglos und aufrecht saß wie ein Fels in der Brandung.
»Wie gut es ist«, meinte der Radscha auf Englisch und mit vom Alkohol schwerer Zunge, »dass Mig-shár nach all den Jahren zurückgekehrt ist.«
»Zurückgekehrt?«, erkundigte sich Sarah, die mit den übrigen Expeditionsteilnehmern ein gutes Stück tafelabwärts saß.
»Gewiss. Er ist schon einmal hier gewesen. Vor langer, langer Zeit.«
Sarah sandte Hieronymos einen fragenden Blick zu, worauf er ihr mit einem kaum merklichen Kopfschütteln zu verstehen gab, dass der Radscha auf dem Holzweg war. Allerdings sah es der Zyklop wohl nicht als notwendig an, den Irrtum aufzuklären.
»Dürfen wir also davon ausgehen, dass Eure Exzellenz uns dankbar dafür sind, dass wir Mig-shár nach Rampur zurückgebracht haben?«, fragte Abramowitsch, der neben Sarah hockte, mit listigem Lächeln.
»Aber gewiss.«
»Dürften wir Euch in diesem Fall um eine kleine Gefälligkeit bitten?«
»Eine Gefälligkeit?« Die vom Alkohol aufgedunsenen Züge des Radschas verfinsterten sich. »Hab ich euch nicht schon Dankbarkeit genug erwiesen?«, fragte er gereizt. »Schließlich habe ich euer Leben geschont und euch als meine Gäste in meinen Palast aufge ...«
Er unterbrach sich, als Hieronymos etwas sagte, und die beiden tauschten einige geflüsterte Worte.
»Schön«, erklärte sich der Radscha dann bereit, nun ein wenig versöhnlicher, »in Anbetracht des großen Dienstes, den ihr mir erwiesen habt, bin ich bereit, mir eure Bitte anzuhören.«
»Sehr großzügig, Euer Exzellenz«, entgegnete Abramowitsch in schlecht gespielter Unterwürfigkeit. »Es ist nicht viel, worum wir Euch bitten, lediglich um einen Führer, der uns den Weg durch das Gebirge weisen kann.«
»Ihr braucht einen sirdar ?« Der Radscha schaute ihn durchdringend an. »Ihr wollt nach Tibet?«
»Ja, Exzellenz.«
Der Radscha dachte nur einen Augenblick lang nach. »Ich werde euch meinen Neffen Chandra mitgeben«, entschied er dann, auf einen jungen Mann von vielleicht achtzehn Jahren deutend, der ihnen an der Tafel schräg gegenüber saß. Sein blauschwarzes Haar war punktgescheitelt, seine dunklen Augen wirkten wach und aufmerksam. »Er hat die Reise über den Shipki-La schon viele Male unternommen. Er kann euch den Weg zeigen.«
»Das ist sehr zuvorkommend, Exzellenz«, erwiderte Abramowitsch, und Sarah fügte ein leises dhanyabad 29 hinzu, eines der wenigen Hindi-Worte, die sie beherrschte.
»Ihr wollt also die Grenze überqueren?«, fragte der Radscha zwischen zwei gehörigen Schlucken Wodka, die er jeweils mit einem heiseren Lachen quittierte. »Das verbotene Königreich betreten? Seine Geheimnisse ergründen?«
»Ja, Exzellenz«, stimmte Sarah zu. »Zu diesem Zweck haben wir den weiten Weg auf uns genommen.«
»So?« Der Radscha trank und lachte erneut. »Und ihr glaubt, dass ihr dadurch klüger werdet? Weiser?« Diesmal brauchte er keinen Alkohol, um in dröhnendes Gelächter auszubrechen. »Wie wenig ihr doch versteht. Und dennoch maßt ihr euch an, allen Geheimnissen auf den Grund gehen zu wollen.«
»Unwissend sind wir in der Tat, Exzellenz«, räumte Sarah diplomatisch ein, noch ehe Abramowitsch etwas erwidern konnte. »Deshalb wissen wir auch nicht, woher Ihr unseren einäugigen Freund kennt.«
»Woher ich ihn kenne?«, lallte der Radscha. »Du willst wissen, woher ich ihn kenne?«
»Genau das.«
»Komm mit, Weib«, forderte der Fürst von Rampur sie auf, »offenbar ist es an mir, deine schändliche Unwissenheit zu schmälern.«
Er wollte sich erheben, aber der Alkohol hatte
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