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Das Licht von Shambala

Das Licht von Shambala

Titel: Das Licht von Shambala Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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über das Land, dessen geistliches wie politisches Oberhaupt der Dalai Lama war, eine mysteriöse Gestalt, von der einige gar behaupteten, sie wäre eine Gottheit. Ausländern war es bei Strafe verboten, die Grenze des Landes ohne Zustimmung des Ministerrats zu überschreiten, und eine solche zu erwirken, galt ohne entsprechende Verbindungen als nahezu unmöglich. Natürlich hatte es Missionare gegeben, die nach Tibet gelangt waren, und seit einigen Jahren entsandten sowohl Briten als auch Russen verstärkt Agenten in die Region. Von einer Öffnung der Grenzen, wie sie unter zivilisierten Ländern gang und gäbe war, konnte jedoch keine Rede sein. Gut möglich, dass die Soldaten das Feuer eröffneten, sobald die ›Kamal‹ in Reichweite kam - und einen weiteren Angriff würde das Schiff wohl nicht überstehen.
    »Wir müssen höher gehen«, sagte Abramowitsch, der das Gleiche zu denken schien, und teilte dies Balakow mit. Die beiden wechselten einige Worte, dann schienen sie sich zu einigen - und im nächsten Moment flogen die Packsäcke mit den Zelten über Bord.
    »Was tun Sie da?«, brach Sarah ihr langes Schweigen.
    »Wonach sieht es denn aus? Wir werfen Ballast ab, um noch höher zu steigen. Auf diese Weise entgehen wir vielleicht ihren Kugeln. Oder haben Sie einen besseren Vorschlag?«
    »Nein«, gab sie bissig zu. »Ich frage mich nur, wen von uns Sie als Ersten über Bord werfen werden, wenn Ihnen die Gepäckstücke ausgehen.«
    Sie nahm ihm das Fernrohr aus der Hand und warf ihrerseits einen Blick hindurch. Man konnte sehen, wie die Grenzer wild mit den Armen winkten und aufgeregt aufeinander einredeten. Bekleidet waren sie mit dem traditionellen rotbraunen bukoo, der in Tibet auch als Uniform zu fungieren schien, sowie mit Mützen aus Yakfell, deren Ohrenschützer heruntergeklappt und unter dem Kinn verknotet waren, sodass von den ledrigen, sonnengebräunten Gesichtern der Soldaten kaum etwas zu sehen war. Außer mit dem ral-gri, dem traditionellen tibetischen Breitschwert, waren einige von ihnen mit altertümlichen Luntenschloss-Musketen bewaffnet, der Rest hatte Bogen und Köcher mit langen Pfeilen über der Schulter. Keine sehr modern ausgerüstete Streitmacht, aber durchaus eine, die Sarah und ihren Gefährten gefährlich werden konnte.
    Durch das Abwerfen der Zeltplanen gewann das Luftschiff tatsächlich rasch an Höhe. Der Wind, der unmittelbar über dem Bergsattel merklich nachgelassen hatte, nahm plötzlich wieder zu, und die Luft wurde spürbar dünner. Sarah schätzte, dass sie sich inzwischen auf gut 16 000 Fuß befinden mussten. Sie hatte keine Ahnung, wofür die Tibeter das seltsame Objekt hielten, das so unvermittelt über ihren Köpfen aufgetaucht war - vielleicht für ein Wunder oder für ein Zeichen der Götter. Vielleicht durchschauten sie aber auch, was es tatsächlich war: ein Fremdkörper, der dabei war, in ihre behütete Welt einzudringen.
    Bislang hatte sich Sarah keine Gedanken darüber gemacht, aber in diesem Augenblick kam sie sich wie ein Räuber vor. Genau so wurden Leute, die sich widerrechtlich Zugang verschafften und etwas ungefragt an sich zu nehmen gedachten, genannt. Sie hatte plötzlich das unschöne Gefühl, dass es Unrecht war, was sie tat, aber sie verdrängte es mit dem Gedanken an Kamal und an die Mission, die sie zu erfüllen hatte. Ihre Verunsicherung blieb jedoch, denn sie war eine Fremde in diesem archaischen, unbekannten Land, und die Schwere, die sie infolge der dünnen Luft auf den Lungen spürte, rief ihr dies bei jedem Atemzug von Neuem ins Bewusstsein.
    Inzwischen hatten sie die Grenze überflogen, ohne dass auch nur ein einziger Schuss gefallen war. Ob die Soldaten aus Ehrfurcht nicht gefeuert hatten oder weil ihnen klar gewesen war, dass ihre Kugeln nicht so weit reichten, würden die Reisenden wohl nie erfahren. Es spielte auch keine Rolle mehr, denn die Landschaft, die sich vor ihnen ausbreitete, während sie die Passhöhe hinter sich ließen und allmählich wieder sanken, war so dramatisch, dass es ihnen den Atem raubte. Zerklüftete Felsmassen erstreckten sich von Norden nach Süden in einem Panorama, das auf der Welt seinesgleichen suchte. Im Lauf der vielen Expeditionen, auf denen sie Gardiner Kincaid begleitet hatte, hatte Sarah viel gesehen und erlebt, aber noch nie etwas, das auch nur annähernd dem Vergleich mit der gewaltigen Majestät des Himalaya standgehalten hätte.
    Zu beiden Seiten der Straße, die sich auf dieser Seite der Grenze

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