Das Licht von Shambala
gestoßen, dann kippte er nach vorn und stürzte geradewegs auf Sarah und Hingis herab.
Sarah schnappte nach Luft. Reaktionsschnell wich sie zurück, um nicht von der Körpermasse des Hünen erschlagen zu werden. Hingis, der ein wenig langsamer war, wurde mit einem erstickten Aufschrei zu Boden gerissen und unter dem Fellmantel des Einäugigen begraben.
Sarah stand wie vom Donner gerührt, die rauchende Waffe noch in den Händen. Mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen starrte sie auf den Zyklopen, der bäuchlings vor ihr am Boden lag.
»Hieronymos«, hauchte sie entsetzt.
Abramowitsch half ihr, den Koloss auf den Rücken zu drehen und damit gleichzeitig auch Hingis zu befreien. Der Schweizer rang keuchend nach Atem, war ansonsten aber unverletzt - und Sarah war erleichtert, als sie in die vernarbten und auf unnatürliche Weise deformierten Gesichtszüge des Toten blickte.
Es war nicht Hieronymos.
Zwar gab es inmitten der hohen Stirn nur ein einzelnes Auge, aber während ihr einäugiger Verbündeter der letzte Spross der Arimapsen war, repräsentierte dieser Zyklop das Ergebnis einer ebenso grässlichen wie frevlerischen Manipulation, die an einem fernen Ort vorgenommen worden war, tief unter der feuchten Erde der Krim. Die Unterschiede waren so eindeutig, dass sich Sarah fragte, weshalb sie ihr nicht schon früher aufgefallen waren. Und in diesem Moment begriff sie auch, was Hieronymos gemeint hatte, als er sagte, dass die Diener der Bruderschaft an Körper und Seele entstellt wären. Denn selbst im Tod war der Blick, der durch das halb geschlossene Augenlid stach, noch von Wahnsinn gezeichnet ...
»Verzeihen Sie mir.«
Sarah wandte sich um. Hieronymos stand hinter ihr, die blutige Sichelklinge in der einen und etwas, das sie nicht näher identifizieren konnte, in der anderen Hand. Seine breite Brust hob und senkte sich heftig, und er schien erschöpft zu sein von dem Kampf, den er siegreich entschieden hatte.
»Es waren drei«, erklärte er. »Zwei von ihnen habe ich erledigt, aber dieser ist mir entkommen. Bitte verzeihen Sie mir.«
»Da gibt es nichts zu verzeihen«, erwiderte Sarah. »Ohne deine Hilfe wären wir vermutlich längst tot. Wir sind es, die zu danken haben, Hieronymos.«
Der Zyklop nickte knapp. Dann hob er seine Klinge, beugte sich zu dem Toten hinab und ergriff den Pferdeschwanz, zu dem dessen langes Haar gebunden war. In diesem Augenblick begriff Sarah, was ihr einäugiger Verbündeter da in seiner linken Hand hielt: das Haar seiner besiegten Feinde samt der noch blutigen Kopfhaut ...
»Bitte nicht«, sagte sie leise.
Er schaute auf. »Warum nicht?«, fragte er mitleidlos dagegen. »Er war nichts als ein Betrüger, ein Vergehen an der Natur.«
»Vielleicht - aber er war auch ein Mensch«, wandte Sarah ein.
Der Zyklop verzog missbilligend das Gesicht. Dass jemand versuchte, seinesgleichen nachzubilden, schien er nicht nur als Frevel an der Schöpfung, sondern auch als persönliche Kränkung zu empfinden. Er hob die Klinge und wollte sein blutiges Handwerk fortsetzen, als Ston-Pa ihm abermals Einhalt gebot.
»Mig-shár möge warten!«, rief der Abt, der sich über den vermeintlich Toten gebeugt und die Hände auf dessen blutige Brust gelegt hatte. »Dieser hier ist noch am Leben! Sein Atem ist schwach und sein Herzschlag kaum noch zu spüren, aber noch hat ihn der Geist nicht verlassen.«
»Was?«
Sarah ließ sich bei ihm nieder - der Abt hatte recht. Tatsächlich hob und senkte sich die Brust des feindlichen Kriegers kaum merklich, aber es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis sich sein einzelnes Auge für immer schließen würde.
»Kannst du mich verstehen?«, fragte sie ihn.
Die Antwort war ein angedeutetes Nicken.
»Du weißt, wer ich bin?«
Alles, was aus der Kehle des Verwundeten drang, war ein dunkles Rasseln. Zu mehr war er offenbar nicht in der Lage. Hieronymos jedoch schien nicht gewillt, ihn so davonkommen zu lassen.
»Rede«, riet er ihm und stellte sich am Kopfende auf, das Sichelschwert in den Händen. »Du kannst schnell sterben oder langsam, es ist deine Wahl, du Hund!«
Im ersterbenden Blick des Verwundeten flackerte etwas wie Dankbarkeit auf. Dann deutete er erneut ein Nicken an. Blut rann aus seinen Mundwinkeln.
»Du gehörst zur Bruderschaft?«
»J-ja ...« Es war mehr ein Keuchen als eine wirkliche Antwort.
»Der Gefangene«, stellte Sarah die Frage, die ihr am meisten auf den Nägeln brannte, »Kamal Ben Nara - hast du ihn gesehen?«
»Ja
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