Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)

Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. L. Stedman
Vom Netzwerk:
an.«
    Es war zwar schon eins, aber er musste einen klaren Kopf bekommen. Also brach er, die Laterne noch in der Hand, zu seinem üblichen Abendspaziergang auf. Die Lampe schwang bei jedem Schritt durch die Dunkelheit.
    Hannah saß in ihrem Häuschen und betete. »Behüte sie, Herr. Achte auf sie und rette sie. Du hast sie schon einmal gerettet …« Eine neue Sorge meldete sich – vielleicht hatte Grace ihren Vorrat an Wundern ja schon aufgebraucht. Doch sie beruhigte sich mit dem Gedanken, dass kein Wunder nötig war, damit ein Kind eine Nacht im Freien überlebte. Es durfte ihr nur nichts zustoßen. Und das war etwas völlig anderes. Im nächsten Moment jedoch wurde dieser Gedanke von einer neuen, noch drängenderen Angst vertrieben. In ihrer Erschöpfung stieg plötzlich ein Gedanke, abwegig zwar, aber glasklar, in ihr hoch: Vielleicht wollte Gott ja nicht, dass Grace bei ihr blieb. Vielleicht trug sie die Schuld an allem. Sie wartete und betete. Und sie schloss einen feierlichen Pakt mit Gott …
    Jemand tritt gegen Hannahs Haustür. Sie hat die Lichter zwar gelöscht, ist jedoch hellwach und springt auf, um zu öffnen. Vor ihr steht Sergeant Knuckey mit Graces schlaffem Körper in den Armen.
    »Oh, gütiger Himmel!« Hannah stürzt sich auf ihr Kind. Da sie nur Augen für das Mädchen hat und nicht für den Mann, bemerkt sie nicht, dass er lächelt.
    »Ich bin auf der Landzunge fast über sie gestolpert. Sie schläft tief und fest«, verkündet er. »Die Kleine hat neun Leben, so viel steht fest.« Trotz seines Lächelns hat er eine Träne im Auge, als er sich an das Gewicht seines Sohns in seinen Armen erinnert, den er vor so vielen Jahrzehnten nicht hat retten können.
    Hannah hörte seine Worte kaum, als sie ihre schlafende Tochter an sich drückt.
    In dieser Nacht nahm Hannah Grace mit zu sich ins Bett, lauschte jedem ihrer Atemzüge und beobachtete jede Kopfbewegung und jedes Strampeln.
    Als Regen einsetzte, ein Geräusch, als würde das Blechdach mit Kies bestreut, erinnerte sich Hannah an ihren Hochzeitstag: eine Zeit undichter Zimmerdecken in einer bescheidenen Hütte, in der Eimer herumstanden. Eine Zeit der Liebe und der Hoffnung. Vor allem Hoffung. Frank, sein Lächeln und sein Frohsinn, ganz gleich, was der Tag auch brachte. Sie wollte, dass Grace auch so wurde. Ihre Tochter sollte ein glückliches kleines Mädchen werden, und sie betete zu Gott um den Mut und die Kraft, um das zu tun, was dazu nötig war.
    Als der Donner das Kind weckte, sah es Hannah schlaftrunken an, kuschelte sich enger an sie und kehrte zurück in seine Träume, während ihre Mutter lautlos weinte und an ihren Schwur dachte.
    Die schwarze Hausspinne ist in ihr Netz in der Ecke von Toms Zelle zurückgekehrt, überarbeitet unermüdlich das komplizierte Geflecht und schafft wieder Ordnung, nach einem Muster, das nur sie selbst kennt. Weshalb muss ein Faden genau mit dieser Spannung und in diesem Winkel angebracht werden? Nachts erscheint die Spinne, um ihr Netz zu reparieren, ein Gewirr aus Fäden, das seltsame Formen bildet, in denen sich der Staub fängt. Sie webt ihre willkürliche Welt, die sie immer wieder flickt und nur verlässt, wenn man sie dazu zwingt.
    Lucy ist in Sicherheit. Tom kann die Erleichterung körperlich spüren. Doch noch kein Wort von Isabel. Kein Zeichen, dass sie ihm verziehen hat oder es je tun wird. Die Hilflosigkeit, weil er Lucy nicht hat retten können, macht ihn nur umso entschlossener, seine Frau zu schützen, so gut er kann. Es ist die einzige Freiheit, die ihm bleibt.
    Dass er ohne sie leben muss, erleichtert es ihm, loszulassen und sich nicht gegen den Lauf der Dinge zu stemmen. Er schwelgt in Erinnerungen. Das Zischen des Öldampfs, wenn er nach der Berührung mit dem Streichholz zu strahlen begann. Die Regenbogenfarben der Prismen. Die Ozeane, die sich wie ein geheimes Geschenk vor Janus erstreckten. Wenn Tom sich von dieser Welt verabschieden muss, möchte er die schönen Dinge im Gedächtnis behalten, nicht nur das Leid. Die Atemzüge von Lucy, die sich zwei fremden Menschen anvertraut hat und wie ein Molekül mit ihren Herzen verschmolzen ist. Und Isabel, die Isabel von früher, die ihm nach all den Jahren im Dunstkreis des Todes den Weg zurück ins Leben geleuchtet hat.
    Ein leichter Regen weht die dampfigen Gerüche des Waldes in seine Zelle: Erde, nasses Holz und der scharfe Duft der Silberbäume, deren Blüten wie große, fedrige Eicheln aussehen. Er denkt daran, dass er Abschied von

Weitere Kostenlose Bücher