Das Liebesspiel
ich nur das Licht am hinteren Ende des Ganges, ein blasses, zitronengelbes Licht, das aus der geöffneten Tür des unbenutzten Zimmers fiel. Ich ging darauf zu, angezogen, bis seine Wärme meine nackten Beine streifte. Da sah ich, dass meine Mutter dort hockte, auf dem Boden neben dem alten Waschtisch, neben dem Krug und der Schüssel mit ihrem blau-weißen Muster.
Sie sah mich nicht. Sie saß mit dem Rücken zur Tür. Durch das Fenster strich hastiges Licht über ihre Schulter, wie eine Hand. Ihr Kopf war leicht geneigt, die Schultern vorgebeugt zu etwas auf ihrem Schoß, und ich betrat das Zimmer, um es genauer zu sehen, ging näher heran, und dann erkannte ich es. Eine alte Schreibtischschublade, die sie herausgezogen hatte, und auf ihrem Schoß Kinderkleidung, die ich noch nie gesehen hatte, nicht kannte, doch die Art, wie sie sie betastete, diese kleinen Sachen faltete, verriet mir, dass etwas nicht stimmte, wie sie die Ärmel, die Säume übereinanderlegte, die Ränder mit den Händen glättete, jedes Teil neu faltete, eins nach dem anderen zurück in die Schublade, auseinandernahm und wieder faltete – die Absicht dahinter – du süßes Mäuschen –, sie war so ruhig und versunken – was ich gefühlt haben muss –, wie konnte ich es je gutmachen, sie retten, es rückgängig machen, und schon in dem Moment wusste ich, dass es keine Rettung gab.
Da beginnt die Verhärtung. Mit dem Wissen, dass man nichts ändern kann.
Das weiß ich noch. Ich stand in der Tür – sie schaute nicht auf –, ich stand da und spürte, wie sich diese Verhärtung in mir bildete. Kaum faustgroß, aber mit einer Kante, die wie eine flinke Klinge in meinen Atem schnitt.
Jahre später ging ich noch einmal zu der Schublade, riss sie auf, fand Handtücher, Decken, Zedernholzstücke. Doch gelegentlich denke ich darüber nach. Halte den Gedanken auf Armeslänge von mir. Auf Abstand. Mache ihn gar keimfrei durch blitzblanke Rationalität. Im Schweigen des Hauses, in dem ich allein mit ihr war. Das Zimmer stand in Flammen.
Ist es real? Das, woran du dich erinnerst? Ist es mehr als real?
Sie kommen des Nachts, Gedanken dieser Art, sie schmuggeln sich herein, wenn mein Körper erschöpft und mein Kopf aufgedreht ist, wenn eine Angst schmetterlingsgleich gegen meine Rippen schlägt und ich versuche, nichts zu fühlen, nicht daran zu denken, dass ich in gut sechzehn Stunden mit Ray Varick verabredet bin. Ich will und versuche zugleich, nicht zu viel zu wollen.
Gestern kam mein Bruder über Mittag auf einen Kaffee und ein Schinkenbrot vorbei, und als er wieder ging, warf er mir einen kühlen Blick zu und sagte: »Hab gehört, du hast Donnerstagabend einen Termin.« Als wären wir immer noch Jugendliche und ich machte mich an seinen Kumpel ran.
Ich erwiderte etwas Entsprechendes.
Er funkelte mich irgendwie böse an. »Tu mir einen großen Gefallen und setz nicht alles in den Sand.«
Licht ,
schrieb Nykvist …
… heiß, dunkel, violett, frühlingshaft, schräg
Alles kann so auf dich zurückfallen, oder?
Zapp.
Entdeckung
MARNE
10 . Juni 2004 , 3.30 Uhr
Ich kann immer noch nicht schlafen. Ich habe dieses kleine Buch aus der Bibliothek schon mehr als zur Hälfte durch, das ich vor einer Woche in dem Regal oben am Treppenabsatz entdeckte, zwischen Millay und der Dylan-Thomas-Sammlung meiner Mutter. Ausgewählte Schriften. Im Wetter des Herzens. Abenteuer in Sachen Haut.
Meine Mutter ist und war schon immer ein großer Dylan-Thomas-Fan.
Es ist von einem unbekannten Universalgelehrten, dieses Buch: Geheimnis des Lichtes . Trotz der Plastikfolie der Bibliothek ist der Buchdeckel ausgefranst, ein zerfaserter Rand, Pappe scheint durch, ein Wasserfleck verfärbt die obere Kante. Ich habe versucht, ihre handschriftlichen Notizen am Rand zu entziffern. Es gibt Abschnitte, die ich lesen kann, Strophen, Gedichtfragmente – stibitzt, nicht von ihr. Ein bisschen was von Auden, das ich kenne, Zeilen über den Sprung in einer Teetasse, der den Weg ins Reich der Toten weist. Das ließ mich innehalten. Verständlicherweise. Ich las auch die Randbemerkungen daneben, um zu sehen, ob die Stellen zusammen eine größere Einheit ergaben, die mir einleuchtete. Aber es war so, als würde ich ein Sudoku mit zu wenig vorgegebenen Zahlen lösen wollen, und ich gab auf. Es ist alles zu unzusammenhängend. Ein mentales Stenogramm, das für meine Mutter irgendwann eine zwingende Logik besessen haben muss. Jetzt sind es nur noch Fragmente, wie
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