Das Liebesspiel
ist sie. Dieses süße Geheimnis, das man bewahrt. Zum Beispiel wenn man sie über die Straße durch das Sonnenlicht gehen sieht, wenn sie ein Buch bei sich trägt, als wäre es an ihr Handgelenk geschweißt, oder wenn sie die Veranda vom Haus der alten Pennypinch fegt, der Witwe von dem Walfänger, für die sie das Jahr über arbeitet, der Alten, die immer noch jeden Abend für ihren verschollenen Kapitän den Tisch deckt. Man fährt auf dem Fahrrad vorbei und Jane Weld ist vielleicht gerade draußen, friemelt an irgendeiner Pflanze im Gemüsegarten der Pennypinch herum oder wäscht Milchflaschen aus und lässt sie in der Sonne trocknen, oder man erhascht einen Blick auf sie an einem wärmeren Nachmittag, wie letzten Dienstag, draußen hinterm Haus ihres Großvaters, wo sie auf dem Holzstoß in einer Kuhle liegt: lesend, in dem verblassten indigoblauen Kleid, das sie wie ein See einhüllt. Du siehst sie in so einem Moment und sie erwidert den Blick niemals, sie ist siebzehn, du selbst vierzehn, die Tochter vom toten Weld, der ganze Kram. Aber trotzdem. Du siehst sie und alles windet sich in dir, ein Schmerz in der Brust – diese Art sehnender Schmerz, der einen umbringen könnte, wenn man ihm nachgäbe.
Also tust du es nicht. Vertreibst den Gedanken. Fährst mit deinen Kumpels zum Drive-in an der Route 6 – arbeitest dich durch einen Milchshake, einen Cheeseburger, eine doppelte Portion Pommes, und die dürre Kellnerin mit dem Pickelgesicht oben im Fenster macht deinem besten Freund schöne Augen, und wenn Pard ein bisschen mit ihr rumschäkert, bekommen alle das Essen umsonst. Oder du fährst mit deinen älteren Brüdern los, Scott und Junie, und mit einigen Freunden von ihnen, ihr fahrt durch T’aintville und die River Road runter, durch Westport Harbor, ihr schießt durchs Autofenster auf Kaninchen, holt sie von den Rasen vor den Sommerhäusern, diesen großen Kästen, verrammelt und leer in der Nebensaison, böse funkeln sie dich von ihren fetten Veranden aus an. Und du bist derjenige, der immer wieder aus dem Auto geschickt wird, um über den Rasen zu huschen und die gerade erschossenen Viecher einzusammeln, weiche, nasse, schlaffe Körper in deinen Händen – fahren, schießen, holen, fahr, schieß, hol, bis du auf dem Rückweg hinten bis zu den Knien in Kaninchen sitzt.
Es könnte jedoch eines Tages geschehen, könnte dich unvorbereitet treffen, es mag vorbeischlüpfen an der Angst, ihr zu nahe zu kommen, erwischt zu werden, du magst langsamer werden, nachlassen, in einem blitzartig flackernden Augenblick denken, dass sie doch die Einzige ist, das eine Mädchen, für das du die Welt aus den Angeln heben würdest, zurechtrücken, bis sie passt, das eine Mädchen, die Einzige – du wagst es nicht, kannst nicht, sollst nicht, und vielleicht tust du es gerade deshalb. Es ist der Taschenspielertrick eines krötenbauchigen Gottes, der dich piesackt, der Gedanke an sie wie ein Jucken in deinen Händen, ein Jucken in deinem ganzen Körper, als hätten deine Sachen Feuer gefangen, der Gedanke an sie verbrennt dich schlicht zu Asche.
Du bekommst ein Auto von irgendjemandem in die Finger. Von deinem Bruder oder deinem Onkel, du leihst es dir oder klaust es, fährst raus zu der schnellen neuen Straße, die Dämmerung rieselt wie Salz auf den Asphalt und ihre Augen sind wie diese Straße in der Dämmerung, dieses sinnliche, mystische Blau, ihre Augen, und dein Fuß tritt das Gaspedal bis auf den Boden durch, du fährst und sie ist alles, an das du denken und nicht denken kannst, alles, was du willst, nur sie, wag es nicht. Und die Nacht um dich ist hereinsickerndes Wasser, du spürst sie in der Geschwindigkeit, sie strömt aus deinem Schädel durch dein Haar nach außen, du ergießt dich auf diese Straße und fährst, schneller, als könntest du in sie hineinfahren, in das Ewige, das sie ist, immer weiterfahren.
Hülse
JANE, SIEBZEHN
Frühling 1962
Grauer Himmel. Weißer Vogel. Flügel falten sich in den Saum einer Wolke, verschwinden. Morgendliche Geräusche vom Anleger, Stimmen, Männer, die ihre Boote beladen – Fallen, Leinen, Köderfässer –, der Geruch von Teeröl, toten Fischen, Flussschlamm, Benzin.
Als Jane die Point Bridge überquert, schaut sie nach Westen zum Anleger, wo das Boot ihres Großvaters Gid liegt, dieses uralte Wrack, immer noch mit dem Mohrenkopf vorne dran, das mit der Hanfleine und den selbst gedrechselten Holzbojen, die mit Kupfer und Kerosin behandelt sind.
»Hummer
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