Das Liebesspiel
in der Bucht von Tiburon segelte, zurückschaute, diese tulpenfarbenen Papphäuser am Ufer stehen sah und glaubte, ich könne hindurchgreifen …
Es ist nie ganz eindeutig. Was einen an diese Art von Ort zurückholt, in ein hübsches Dorf am Arsch der Welt. Man redet sich gerne ein, man wüsste genau, was es nicht ist: eine Mutter beispielsweise, die fingernägelzerkaute Erinnerung an sie, wie sie in einem Zimmer im ersten Stock auf dem Boden sitzt, völlig versunken in diese kleinen Kleidungsstücke, so verloren im Zusammenfalten, dass es sich anfühlte, als sei ich diejenige, die gegangen war.
Was also war es dann? Ein Anruf von Alex kurz nach Weihnachten. Jener Anruf ließ mich innehalten, brachte mich nach Hause. Wie auch nicht? Aber nur für eine Weile, sagte ich mir. Nicht für immer. Ich dachte nie, dass ich länger bleiben würde.
Das alles war natürlich nichts, das ich Ray auch nur ansatzweise hätte darlegen können, der neben mir auf der Veranda saß, deshalb erzählte ich ihm das mit Tiburon, und dann herrschte Schweigen, ein komisches, wackliges Schweigen, und ich schaute durch den Garten zu der Stelle, wo Spatzen in einem halben Dutzend neben dem Schuppen gestapelter unbenutzter Hummerfallen genistet hatten. Diese Fallen stehen schon den ganzen Frühling dort, einige sind kaputt, die Farbe ist von den Bojen geplatzt, Ölweide wächst durch die Löcher, und diese Spatzen führen ihren Haushalt. Während ich sie dort herumflattern sah, dachte ich über meine Eltern nach – ich dachte, wenn man die beiden zusammen sieht, spürt man, dass sie immer noch gegenseitig auf Tuchfühlung sind. Körper, Hände, Augen. Er liebt sie, mein Vater, er hat sie immer geliebt, so wie man vielleicht nur einen verwässerten Himmel lieben kann.
Ich habe das nie verstanden. Dass er – so begabt, ausgeglichen, fatalistisch und klug – ausgerechnet sie gewählt hat.
Ich überlegte, das Ray gegenüber anzusprechen, als wir dort in diesem komischen, umgekippten Schweigen saßen, das allmählich unerträglich wurde. Ich überlegte, ihm von dem Buch über das Licht zu erzählen, ganz beiläufig – dem Abschnitt, den ich letzte Nacht noch mal gelesen hatte, spät, immer wieder von vorn, dem Abschnitt, mit dem ich begann und der sein Schimmern wie Fußabdrücke in meinem Kopf hinterlassen hatte. In dem es darum geht, dass Licht alles enthält – Materie, Bewegung, Zeit, Dimension, Veränderung, das Lebende und das Tote. Ich weiß, dass es eine nächtliche Logik ist. Eine Wahrheit, die niemals zutraf. Aber heute auf der Veranda wollte ich Ray fragen, ob ihm so was auch schon mal passiert sei: dass etwas, von dem man weiß, dass es nicht stimmt, sich manchmal wahrer anfühlt als das, was wirklich ist.
Es dauerte einen Augenblick, das alles zu denken und nichts davon zu sagen, und dann war der Moment verstrichen und Ray fragte mich, ob ich mich noch an Stevie MacGregor erinnern könne (ja, sicher), und er erzählte mir, dass Stevie jetzt ebenfalls als Berger arbeite, allerdings unten in Tennessee, wo er den Großteil seines Geldes damit verdiene, nach Flussmuscheln zu tauchen und diese Muscheln nach Japan zu verkaufen, wo sie zermahlen und zu dem Stoff verarbeitet werden, mit dem man Austern dazu bringt, Perlen zu bilden.
Auf der Stufe zwischen uns waren dreißig Zentimeter Leere und plötzlich kam mir der Gedanke, dass es sich richtiger anfühlen könnte, Schuhe an den Füßen zu haben, deshalb sah ich mich nach ihnen um und entdeckte sie auf der Stufe unter der, auf der wir saßen. Ich schlüpfte hinein.
Ray warf mir einen kurzen Blick zu. »Wo willst du hin?«
»Ach«, sagte ich, »eigentlich nirgends.«
Und er stieß ein Lachen aus und grinste, so als kenne er diesen Ort und wüsste, wie man dorthin gelangt.
Es war keine halbe Stunde, die ich mit ihm auf der Verandatreppe saß, doch das Gras war sonnenliebkost, das Pflaster und sein Gesicht neben mir sonnenliebkost. Ich spürte dieses Glühen in ihm, das ich manchmal bemerke, dieses Glühen, das von irgendwo tief in ihm kommt.
»Du bist früh auf heute«, bemerkte er. Da verstand ich: Er hatte nicht damit gerechnet, mich so früh zu Hause anzutreffen.
»Ist wohl einer von diesen Tagen.« Schleichende Pein.
Er lachte. »Was für Tage sollen das denn sein?«
Ich hatte keine richtige Antwort darauf, was er zu spüren schien, denn er lachte erneut, sanfter jetzt, stieß mit der Spitze seines Stiefels gegen einen Kiesel auf der Stufe unter der, auf der wir
Weitere Kostenlose Bücher