Das Liebesspiel
läuft, verstummt, der Apparat tickt, ein leises Reiben, der dürre Arm bewegt sich, eine neue 45 er wird herausgeholt, eingelegt, beginnt sich zu drehen. Die Stimmen der Jungen prallen von den Takten des nächsten angespielten Liedes ab, sie streiten, lachen, wie aus der Ferne, andere Stimmen, zu stark verwoben und verflochten mit dem fettigen Geruch des Essens und dem an den schäbigen Wänden hochsteigenden elektrischen Licht. Pard erzählt irgendeine Scheiße, seine Stimme tief und kühn, sie ist frei von Zweifeln, immer, frei von Zaudern. Der selbstsichere, satte Ton seiner Stimme vermittelt überzeugend, dass er nie zur Seite schaut, nicht tief hinein und nicht zurück. Pard weiß, auf was alles hinausläuft. Er hält einen Monolog über Marilyn Monroe, eine kleine Rede auf diese Wahnsinnsfrau, seit letzter Woche so tot, toter geht’s nicht. Es gebe ein paar Dinge, sagt er, die seien tragisch im wahrsten Sinne des Wortes, und der Verlust einer Frau wie ihr in dieser Welt, also, schlage das nicht alles?
Stimmen, Musik, Gerüche. Robbie jammert herum, wie lange der Bügelhemd-Typ denn noch braucht, um zu merken, dass ein Haufen Hundekot in der Brieftasche ist, die er eingesteckt hat, wie lange es noch dauert, bis der stinkende nasse Scheiß durchsickert.
Huck hört das alles und hört nichts davon, in Gedanken ist er bei der Öffnung einer Muschel, berührt das Foto, das freie, gewundene, ewige Silber jener Straße entlang der kalifornischen Küste, die sich bis hinunter an den Rand der Seite schlängelt – er berührt dieses asphaltierte, schimmernde Silber, schreckt auf, erinnert sich an den Finger seines Vaters, der auf ihn zeigte, als Huck am Abend aus der Tür gegangen war, ungeschnittene Nägel, gelb von Tabak, diese schmutzige Schwarte von schimpfendem Finger …
»Fünf Uhr morgen früh, Huck, hast du das gehört? Notfalls trete ich dir den Arsch persönlich aus dem Bett. Morgen ganz früh, als Allererstes, gehen wir ins Heu …« Und Huck brummte zurück: »Ja, Dad«, schob sich aus der Tür in die abendliche Kühle, dann auf sein Rad, die Einfahrt runter, vorbei am vorderen Feld mit dem Mais, der schon Quasten austreibt – tritt in die Pedale, tritt und tritt, raus hier, weg, nur weg hier.
Der Rotschopf bringt das Essen, setzt die Teller ab, Robbie wirft fast Hucks Limonade um, die Musikbox spielt das nächste Stück an und Eejit bittet Huck, ihm Essig und Salz zu reichen, Hucks Arm gehorcht, der gläserne Salzstreuer bewegt sich durch sein Gesichtsfeld, seine Hand gehört ihm nicht, seine Hand wie der Rest von ihm ein mechanischer Schatten.
Er kann den Wind an seiner Kehle spüren, den Wind und die sanfte Geschwindigkeit bei seiner Fahrt auf der silbernen kalifornischen Straße bis unten an den Rand der Seite, das Foto ausgebreitet auf dem Tisch neben seinem linken Ellenbogen. Ketchup ist auf das glitzernde Meer gespritzt. Huck tupft ihn mit dem Ärmel ab, immer noch im Auto auf dem Highway an der Westküste. Sie ist bei ihm: Jane Weld, sie sitzen in einem schicken Flitzer, einem Cabrio, seine Hände auf dem Lenkrad aus Leder, ihr Rock wirbelt ihr um die Knie, so fahren sie durch unerschöpflichen Sonnenschein; Pfirsichbäume entlang der Straße, Obstplantagen, wo sie anhalten und umherwandern werden, Früchte pflücken, sobald sie Hunger haben oder einfach nur Lust auf diese ekstatische Süße, und niemand stört sich daran. Er spricht ihren Namen: Jane, Jane, Jane, und sie ist mit ihm dort, in dem Wagen, fährt mit ihm durch silbernen, dickflüssigen Sonnenschein, durch das Foto, nur er und sie, warmer Wind auf deinem Gesicht, Jane, und das offene Blau des Himmels legt sich auf sie.
»Was hast du?«, sagt Pard, seine Stimme beinahe ein Zischen, leise genug, dass die anderen es nicht hören können – dieser Ton, das weiß Huckie, ist für ihn reserviert, und wie auf ein Stichwort blickt er hoch. Pard sieht ihn an, ein dumpfer, leerer Ausdruck im Gesicht, dieser versteinerte Blick. Huck kennt ihn. Er schüttelt den Kopf. »Nichts.« Er schaufelt das Essen in sich hinein.
In dieser Woche hat jeden Abend etwas im Müll herumgewühlt. Vorletzte Nacht kam es her, ein Tier, das durch die Mülleimer krabbelte, die Metalldeckel klapperten. Huck ging nach draußen auf die Veranda, um nach dem Rechten zu sehen, entdeckte den buschigen schwarz-weißen Schwanz, als das Stinktier um die Ecke der Maisscheune watschelte. Kein Problem, hatte er gedacht, dem Tier aufzulauern, dort auf der Veranda.
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