Das Lied der alten Steine
Ort gebracht, wie ich es hätte tun sollen.« Anna setzte sich auf das Bett.
»Kannst du die Zeremonie auch ohne Fläschchen durchführen?«, fragte sie und sah hoffnungsvoll zu Serena auf.
»Können wir es rasch machen?«
Serena nickte zögernd. Sie sah nicht überzeugt aus. »Wir können es versuchen.« Sie langte in eine Reisetasche an ihrem Bett und holte ein Spiralheft hervor. Es war eng beschrieben, der Text nur hier und da von Diagrammen unterbrochen. »Ich habe darüber nachgedacht, welche Worte und welches Ritual wohl am geeignetsten sind. Wir müssen sie beide beschwören, herzitieren und dann auf eine solche Weise verabschieden, dass sie nicht mehr zurückkehren.«
»Und du weißt, wie man das anstellt?« Anna richtete ihre Augen auf das Heft.
Serena sah sie zweifelnd an. »Theoretisch ja.«
»Was passiert, wenn wir es nicht schaffen?«
Serena zuckte die Achseln. »Dann habe ich alles nur schlimmer gemacht. Dadurch, dass wir ihnen so viel Aufmerksamkeit zuwenden, machen wir sie stärker.«
»Aber wenn wir es richtig machen, dann können wir Charley helfen?«
Serena verzog das Gesicht. »Wenn wir sie loswerden, wird es euch beiden helfen. Das heißt, wenn ich’s richtig mache.«
»Machen wir es jetzt. In meiner Kabine.«
»Jetzt? Anna, ich weiß nicht, ob ich bereit dazu bin.«
»Du musst bereit sein.« Anna ergriff ihre Hand. »Es wird schon recht werden. Es muss. Bitte.«
Serena holte tief Luft. »Okay. Ich werde mein Bestes tun. Es ist ein bisschen so wie das, was wir in Kom Ombo gemacht haben, nur besser. Wirkungsvoller. Wir haben Zeit und sind ungestört und wir können es richtig aufbauen.« Sie sah sich in ihrer Kabine um, als ob sie kontrollieren wollte, dass sie auch alles hatte, was sie brauchte, dann klemmte sie sich das Heft unter den Arm und nahm die Reisetasche. »Gehen wir.«
Anna folgte ihr. »Brauchen wir Charley dafür?« Serena blieb stehen. »Ich habe mich das auch schon gefragt. Ich glaube, in diesem Stadium nicht. Wir können die Zeremonie nicht durchführen, wenn sie da ist, sie würde uns zu sehr stören, abgesehen davon sind die Energien überall. Ich hoffe nur, ich mache es so gründlich, dass die ganzen Bindungen zu dir, zu Charley, vielleicht zu Andy und Toby – vielleicht sogar zu mir –
zerstört werden und wir alle im selben Moment freikommen.«
Sie fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen. »O Gott, Anna, ich hoffe, dass ich in diesem Punkt Recht behalte.«
Sie schlossen die Läden vor dem Fenster, schoben den Nachttisch in die Mitte des Raumes und legten einen von Annas Seidenschals darüber. Auf diesen improvisierten Altar stellte Serena Kerzen in kleinen farbigen Glashaltern, eine Weihrauchschale aus Messing sowie eine winzige geschnitzte Isis-Statuette. Sie blickte sich um und schüttelte den Kopf. »Es ist nicht dunkel genug. Die Vorhänge sind zu dünn, es kommt zu viel Licht durch die Schlitze. Wir müssen noch etwas davor hängen.« Sie drapierten ein Badehandtuch über das Fenster und darüber Annas Wolldecke. Endlich war die Kabine dunkel.
Serena schaltete das Licht an und wühlte dann in ihrer Tasche.
Sie brachte ein Henkelkreuz zum Vorschein – das ägyptische Symbol des ewigen Lebens -, das sie neben die Statuette legte, und dann noch ein verschlungenes rotes Amulett an einer schwarzen Lederschnur, das sie sich um den Hals hängte.
»Was ist das?« Anna, die während der Vorbereitungen schweigsam zugesehen hatte, beugte sich jetzt vor und betrachtete es aufmerksam.
»Es wird Tyet genannt. Es stellt den Knoten in Isis’ Gürtel dar.
Oder ihr heiliges Blut, weshalb es aus rotem Jaspis geschnitten ist. Es ist ein sehr mächtiges Symbol.«
Unbewusst griff Anna nach dem Amulett, das an ihrem eigenen Hals hing. Serena quittierte die Bewegung mit einem kurzen zustimmenden Kopfnicken.
Sie holte eine Schachtel Streichhölzer aus der Tasche hervor.
»Ich werde den Schutz von Isis anrufen, bevor ich anfange.
Dann rufe ich die beiden Priester vor ihren Altar. Ich habe diesen Weihrauch noch vor der Reise in London zusammen-gebraut. Es kommt dem Kypht, dem Rauchwerk, das der Isis geweiht war, noch am nächsten. Man hat es in ihren Tempeln während der Rituale gebraucht.« Sie lachte abschätzig. »Ich habe es aus Spaß gemacht. Es sind so viele Zutaten drin.
Rosinen. Myrrhe. Honig. Wein. Harz. Lavendelöl.
Wacholderbeeren. Und noch viel mehr. Ich habe nicht gedacht, dass ich’s mal für einen solchen Zweck verwenden würde.«
Anna
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