Das Lied der alten Steine
sehen konnte. »Rühr sie nicht an!« Die Aggressivität in der Kabine war mit Händen zu greifen.
»Toby!«, schrie Anna. »Nein!« Sie umklammerte seinen Arm.
»Tu’s nicht! Hör auf! Was ist mit euch los? Warum ist so viel Hass auf diesem Schiff?«
Tobys Gesicht war wutentstellt. Er schüttelte Anna ab und ballte die Fäuste.
»Toby!«, rief Anna erneut. »Toby! Nicht! Bitte!«
Toby hielt inne. Ein paar Sekunden lang bewegte sich niemand, wie ein erstarrtes Tableau auf einer Bühne, dann verschwand das Feuer langsam aus Tobys Augen und er ließ seine Faust sinken. Er schubste Andy fort.
Andy setzte sich aufs Bett. Sein Gesicht war bleich.
Anna warf Toby einen raschen Blick zu. »Ich glaube, wir gehen besser.«
Er nickte. Mit einem letzten zornerfüllten Blick auf Andy ging er hinaus.
»Sind Sie in Ordnung?« Anna folgte Toby, doch in der Tür blieb sie stehen und drehte sich noch einmal um.
Andy nickte.
»Es war Ihre Schuld. Sie hätten mich nicht anfassen dürfen.
Und Sie hätten nicht meine Sachen nehmen dürfen.«
Andy sah zu ihr auf. »Verzeihen Sie mir, Anna. Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist. Das sieht mir wirklich gar nicht ähnlich, wirklich nicht. Aber Sie glauben mir jetzt, nicht wahr? Er ist ein Mörder, Anna. Was immer Sie tun, passen Sie auf.«
Anna wandte sich ab und schloss die Kabinentür hinter sich Toby war fort.
Zitternd entfernte sie sich von der Treppe und klopfte an Serenas Tür.
Serena öffnete. »Habt ihr es gefunden…« Sie brach mitten im Satz ab. »Anna, was ist los? Was ist geschehen? Doch nicht Anhotep?«
»Nein, nicht Anhotep. Andy ist zurückgekommen und hat uns in der Kabine erwischt. Er und Toby hatten fast eine Schlägerei.«
»Eine richtige Schlägerei?« Serenas Augen weiteten sich.
»Einen richtigen Kampf. Mit Fäusten.«
Serena biss sich auf die Lippe. »Ich muss sagen, wenn ich ehrlich bin, erstaunt mich das nicht. Komm rein.« Sie zog Anna in die Kabine und schloss die Tür hinter ihr. »Ist Andy in Ordnung?«, fragte sie, als käme ihr die Idee erst jetzt.
»Er wird überleben.«
»Und Toby?«
Anna zuckte die Achseln. »Er war Furcht einflößend, Serena.
Einen Moment lang sah es aus, als würde er die Beherrschung verlieren. Ich konnte es in seinen Augen sehen. Wenn ich nicht dagewesen wäre, hätte er Andy wahrscheinlich geschlagen.« Sie schüttelte bekümmert den Kopf. Sie glaubte nicht, dass Toby ein Mörder war, natürlich nicht! Aber sie hatte jetzt eine Seite an ihm gesehen, die ihr Angst einjagte, und plötzlich war sie voller Zweifel.
Serena forschte in ihrem Gesicht. »Habt ihr das Fläschchen gefunden?«, fragte sie ruhig.
»Nein.«
»Ach, wie schade.« Sie dachte einen Moment lang nach, dann schüttelte sie den Kopf. »Ich habe eine Theorie, Anna. Ich hoffe, dass ich mich irre.« Sie hielt inne. »Ich hoffe inständig, dass ich mich irre.« Es folgte eine weitere längere Pause. »Es ist nämlich so, der andere Priester, Hatsek, der Priester der Sekhmet, ist hier. Auf dem Schiff. Ich habe schon seit einer Weile den Verdacht, dass Charley, als sie das Fläschchen gestohlen hat, unter seinem Einfluss stand; dass er vielleicht ihre Energie ausnutzt und dass sie deshalb immer schwächer wird. Ohne Frage ist sie nervlich ziemlich am Ende. Sie hat nie so getrunken, wie sie’s jetzt tut. Außerdem hat sie ein-oder zweimal im Schlaf von Sekhmet gesprochen, ihren Namen gerufen.« Sie schauderte. »Charley beschäftigt sich nicht mit altägyptischer Geschichte, Anna. Sie hat noch nie etwas von Sekhmet gehört. Sie interessiert sich nicht für das, was ich tue.
Im Gegenteil, sie hasst es.«
Anna nickte. »Und neulich in der Bar hat Charley auch von Sekhmet gesprochen.«
»Ja, und jetzt ist da noch etwas«, fuhr Serena fort. »Toby und Andy. Ich glaube, er bezieht auch Kraft aus ihrer Wut. Es ist eine seltsame Atmosphäre auf dem Schiff. Ich kann spüren, wie sie intensiver wird. Sie wirkt auf uns alle. Hat Toby dein Fläschchen berührt?« Anna nickte erneut.
»Und Andy natürlich sowieso.« Serena ging nachdenklich zum Fenster und sah hinaus. Da sie neben einem sehr viel größeren Kreuzer angelegt hatten, konnte sie nur die glänzende weiße Farbe des Schiffsrumpfs einen guten Meter vor sich sehen.
»Und dann bist da noch du. Anhotep folgt dir überallhin. Er muss deine Energien benutzen.« Sie seufzte. »Andy wollte euch das Fläschchen nicht geben, sehe ich das richtig?«
»Ja, er meinte, er hätte es an einen sicheren
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