Das Lied der alten Steine
schwächer, wenn Sie die böse Ausgeburt Ihres Gehirns nicht auslöschen können.« Sie spürte, wie Mohammed hinter ihr auf der anderen Seite des Schiffs die oberste Stufe der kleinen Leiter bestieg. Als er sich hinunterließ, flüsterte er ihr zu. »Bitte, Sitt Louisa. Bitte. Bringen Sie sich in Sicherheit.«
Louisa zeigte ein weiteres Lächeln. »Also, Lord Carstairs.
Wollen Sie mich ins Paradies zu Hassan schicken?«
Carstairs gab einen Zischlaut von sich, was die Schlange ablenkte. Als das Reptil sich ihm zuwandte, rannte Louisa an die Seite des Schiffes und kletterte die Leiter hinunter. Binnen Sekunden war sie im Boot, und Mohammed ruderte fieberhaft zur Ibis.
Hinter ihnen schallte Carstairs’ kaltes Gelächter in die Dunkelheit.
Nachdem sie die halbe Strecke über den Fluss zurückgelegt hatten, stützte Mohammed sich auf dem Ruder auf. »Sitt Louisa.
Ich habe etwas für Sie.« Er nestelte an seinem Gewand herum und brachte etwas kleines Weißes zum Vorschein. Er reichte es ihr. »Als ich fortruderte, um Lady Forrester zu holen, schwamm es vor mir im Wasser. Die Seide, in die Sie es gewickelt haben, hatte sich mit Luft gefüllt. Es ist gar nicht gesunken.«
Louisa betrachtete das kleine feuchte Päckchen in ihren Händen, dann sah sie mit einem zögernden, bitteren Lächeln zurück zur Scarab. Also war die Schlange viel klüger gewesen, als irgendjemand geahnt hatte. Das Parfümfläschchen war in Mohammeds Boot gewesen. Die Götter hatten es nicht zurückgenommen.
14
Der Opferblock ist bereit, wie du weißt,
und du bist gekommen, um zu Grunde zu gehen, befreie du deine Priester von den Wächtern, die mit Schlachtermessern
in ihren grausamen Händen metzeln
Der weise Mann nimmt ein Stück Papier. Darauf schreibt er die Namen der beiden Priester, Anhotep und Hatsek, und ihre Geschichte. Dann schreibt er eine Warnung an den Händler und für die Männer aus Luxor. Dies ist eine Geschichte von zwei Dschinns, die sich gegenseitig umbringen würden, wenn sie könnten, und die jeden töten würden, der ihr geweihtes Fläschchen berührt. Dies ist eine heilige Flasche, aus dem Allerheiligsten des Tempels geraubt. Hände, die sie entweihen, werden zu Staub zerfallen; die Hände der Priester sind blutbefleckt.
Als das Papier fertig beschrieben ist, ist die Sonne untergegangen und Dunkelheit hat sich über das Haus des Händlers gesenkt. Der weise Mann verbeugt sich und geht. Der Händler ringt mit dem, was er gehört hat. Er hält ein wertvolles Relikt aus der alten Zeit in Händen. Gibt er es erfüllt von
Verehrung und Respekt den alten Göttern zurück, oder nimmt er es mit auf den Basar im Frangee-Viertel und verkauft es für mehr Geld, als er je sein eigen nannte?
Er liest das Papier gedankenverloren durch. Die Priester werden ungeduldig. Sie nähren sich von seiner Lebenskraft und von der seiner Söhne und Frauen und Diener und sie werden stärker, als sie je waren, seit sie aus der Verborgenheit ihrer Gruft ans Licht des Tages traten.
Mehrere Boote warteten am Kai, um die Schlangen von Schaulustigen zur Ton-und Licht-Show im Tempel von Philae zu befördern. Die Passagiere des Weißen Reihers schlossen sich den Wartenden an und bestiegen die Ausflugsboote. Voller Erwartung und Erregung schauten sie über das dunkle Wasser mit seinen Tausenden von Spiegelungen.
Als Anna und Serena im Heck des Bootes Platz nahmen, ergab es sich, dass Anna neben Andy zu sitzen kam. Sie runzelte die Stirn, als er seinen Arm um ihre Schulter legte und sagte:
»Nichts für ungut, was, Anna? Haben Sie sich eine warme Decke mitgebracht? Manchmal weht aus der Wüste ein sehr kalter Wind herüber, während man sich diese Dinge ansieht.«
Kaum wahrnehmbar rückte sie von ihm ab. »Danke, Andy. Ich bin auf den Abend bestens vorbereitet.« Sie warf Serena einen kurzen Blick zu. In Annas Tasche befanden sich die kleine Flasche und das Tagebuch, in Serenas die kleine Statuette, das Henkelkreuz, die Weihrauchschale und Kerzen. Sie wussten beide nicht, wie sie sich von der Menschenmenge lösen und im Dunkeln ins Allerheiligste des Tempels vordringen sollten, wenn es denn überhaupt möglich war. Anna sah sich nach Toby um und entdeckte ihn weiter vorne im Boot. Er sprach mit dem Mann am Steuerrad.
Sie lachten und gestikulierten zusammen, als ob sie sich seit Jahren kannten, und zum ersten Mal dämmerte ihr, dass Toby Arabisch sprach. Sie war sich immer noch nicht sicher, was draußen in Abu Simbel vorgefallen war, aber
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