Das Lied der Banshee: Roman (PAN) (German Edition)
schwang.
Ich stieß Thomas an, um ihm zu bedeuten, dass es besser war, ihrer Anweisung Folge zu leisten. Wenig später fanden wir uns auf der Rückbank wieder.
Aiko hatte neben Pheme Platz genommen und musterte Thomas eindringlich.
»Es hat Ärger gegeben, nicht wahr?«, fragte sie dann und lehnte die Wange gegen die Oberkante des Sitzes. Kopfstützen Fehlanzeige!
»Ein ganzes Rudel Harpyien ist aufgetaucht und …« Irgendwie wollte es mir jetzt nicht über die Lippen, dass sie ein Blutbad angerichtet hatten. Alles, was ich hätte sagen können, wäre banal gewesen.
Doch Aiko und Pheme begriffen sofort.
»Keine Sorge, solange ihr bei uns seid, passiert euch nichts. Macius wird euch sagen, wie es weitergeht.« Die Japanerin machte eine bedeutungsvolle Pause, dann fügte sie seufzend hinzu: »Besser wäre es, du hättest den Jungen nicht mit reingezogen.«
»Sie hat mich nirgendwo reingezogen«, meldete sich Thomas zu Wort. »Ich habe mich entschieden, mit ihr zu gehen. Ich will sie beschützen.«
Was sollte das denn heißen?
Ich fühlte mich zu elend, um zu fragen, wie er das anstellen wollte. Während ich mich auf dem Sitz zusammenkauerte, blickte ich erneut aus dem Fenster. Einige Passanten auf dem Gehsteig starrten unserem Gefährt mit staunend aufgerissenen Augen hinterher. Das war eine echte Seltenheit in Berlin, wo die Leute meist ihren eigenen Geschäften nachgingen und sich nur selten um andere kümmerten.
Ein wenig hoffte ich ja, dass Thomas irgendwelche Anstalten machte, mich zu umarmen, denn in meinem jetzigen Zustand hätte ich das gut gebrauchen können. Es hätte mich auch nicht gestört, wenn Aiko das beobachtet hätte. Doch Thomas schien völlig in Gedanken versunken zu sein, wie die Falte zwischen seinen Augenbrauen verriet. Vielleicht hätte ich ihn trösten sollen, aber ich kam mir vor wie eine Tomate in einem großen Kühlschrank, die sich vor dem Öffnen der Tür fürchten musste, denn das konnte bedeuten, gleich von irgendwem dort draußen gepackt und gefressen zu werden.
An der Werkshalle angekommen, erwartete uns Macius bereits, der noch immer seinen Anzug trug und sich auf seinen Gehstock stützte. Obwohl es mittlerweile aufgehört hatte zu regnen, tropfte das Wasser immer noch aus seinen Haaren. Oder hatte er wieder eine abgefahrene Wassershow abgezogen?
Hatten ihm die Harpyien ebenfalls einen Besuch abgestattet? Grund dazu hätten sie sicher.
»Gut, dass ihr kommt!«, sagte er, als wir ausstiegen. »Wer ist der junge Mann?«
Der Wassermann legte den Kopf schief.
»Ein Freund von ihr«, antwortete Pheme an meiner Stelle. »Oder wie sie es genannt hat, ein Kollege.«
Ihr spöttischer Blick streifte Thomas und mich.
»Er heißt Thomas!«, fühlte ich mich bemüßigt zu sagen.
»Er ist ein Mensch«, stellte Macius fest, als sei es verwunderlich, dass Menschen sich mit mir abgaben.
»Er ist mir zu Hilfe gekommen, als die Harpyien angegriffen haben«, erklärte ich rasch. »Die Viecher haben das Wohnheim verwüstet, kaum dass ich drin war. Wo warst du eigentlich mit deinem Zauberkram? Weil keiner von euch da war, weil keiner diesen Angriff vorhergesehen hat, ist meine Freundin jetzt tot! Die Harpyien haben sie zerfleischt.«
Macius seufzte. »Leider kann ich nicht überall gleichzeitig sein. Ich habe gespürt, dass sich irgendwas zusammenbraut, daher wollten Pheme und Aiko auch zu dir kommen.«
»Sie hätten früher kommen sollen!« Meine Stimme überschlug sich hysterisch. »Wenn sie da gewesen wären, hätte es keine Toten gegeben. Du hättest sie früher losschicken müssen, oder besser noch, du hättest mit mir kommen müssen, immerhin bist du hier derjenige mit den Superkräften!«
Im nächsten Augenblick merkte ich selbst, dass ich mich lächerlich machte. Niemand anderes konnte etwas für Bettinas Tod außer den Harpyien, Aiko und Pheme ebenso wenig wie Macius. Ich atmete tief durch und senkte den Kopf.
»Es gibt auch bei uns immer wieder Dinge, die niemand verhindern kann …« Er streckte eine Hand nach meiner Schulter aus, stockte dann aber, als ich ihn wieder ansah.
Es schien ihm wirklich leidzutun, so bedrückt, wie er aus der Wäsche schaute.
»Sei ehrlich, hättest du es erlaubt, dass ich dich nach Hause begleite?«, fragte er sanft.
»Nein.« Ich presste die Lippen zusammen, um die Tränen, die erneut in mir aufsteigen wollten, zu unterdrücken. Der Zorn der letzten Minuten war verpufft, ich fühlte mich einfach nur elend und hätte mich am liebsten
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