Das Lied der Banshee: Roman (PAN) (German Edition)
die Treppe wieder erklomm.
Erst in meinem Zimmer fiel mir auf, dass die Tentakel sich sofort zurückgezogen hatten, als Aiko gekommen war. Und dass ich immer noch nicht wusste, was es damit auf sich hatte.
13. Kapitel
B ereits seit gefühlten zehn Stunden saß ich mit Macius im Gemeinschaftsraum. Okay, bestenfalls war es eine einzige Stunde, aber bei dem, was der Wassermann alles erzählte, kam es mir deutlich länger vor. Thomas durfte mit Pheme seine Kampftechnik verbessern – oder, besser gesagt, erst mal eine erlernen, denn bisher waren Stichsäge und Hammer seine einzigen Waffen gewesen. Für mich blieb die trockene Theorie.
»Die Göttin Nyx gebar vier Völker: Nachtmare, Ghule, Lamie n und Harpyien. Sagen dir diese Begriffe etwas? Abgesehen von dem, was ich gestern schon erwähnt habe.«
»Sie sind Fabelwesen«, antwortete ich. »Jedenfalls dachte ich das bisher.«
»Wie alle Menschen. Aber wie du nun weißt, gibt es einige Fabelwesen, die keine Hirngespinste sind.« Macius machte ein paar Schritte durch den Raum, nahm etwas von einem der Regale und stellte es auf den Tisch. Es war der Kristall von gestern. Wollte er mir wieder eine Horror-Show vorführen?
Ich machte mich auf das Schlimmste gefasst, als erneut eine Lichtsäule erschien. Nachdem Macius die dort gespeicherten Lebenslinien kurz betrachtet hatte, griff er eine heraus. Wenig später erblickte ich eine Gestalt. Sie war keineswegs so hässlich wie der Ghul gestern und dennoch furchterregend anzuschauen. Ihre Haut war extrem blass, beinahe wie bei mir selbst, doch ihre Haare waren pechschwarz und ihre rissigen Lippen knallrot. Das Augenweiß war schwarz und glomm von innen heraus rot. Igitt! Und da beschwerte ich mich über meine Augen!
»Das ist eine Lamie. Wie du weißt, werden sie zuweilen auch Vampire genannt. Was meinst du, welche historische Figur außer Erszebet Bathory mag noch eine Lamie gewesen sein?«
»Graf Dracula «
Macius schnaufte. »Vlad Draculea war kein Lamius. Ich dachte eher an Kaiser Nero .«
»Nero soll Blut getrunken haben?«
Offenbar hatte ich im Geschichtsunterricht was verpasst. Ich kannte ihn lediglich als Christenhasser, der Rom niedergebrannt hatte.
»Ja, vor allem Christenblut. Heutzutage erwähnt das keine Quelle mehr, aber es stimmt.«
Wenn das hier vorbei war, musste ich wohl mal ein ernsthaftes Gespräch mit meiner ehemaligen Geschichtslehrerin führen. Sie konnte zwar nichts dafür, dass ihre Quellen nicht die richtigen waren, dennoch war das, was sie uns eingepaukt hatte, ziemlich überflüssig.
»Wie ist das nun mit den Vampiren?«, fragte ich weiter.
»Genau genommen waren es die Lamien, die den Vampirglauben in den slawischen Ländern angefacht haben. Sie brachen den Pakt, sich den Menschen nicht zu zeigen oder ihnen offensichtlich zu schaden, sehr zum Ärger der dort lebenden Gaianischen, Aitherischen und Pontonier.«
»Konnten sie denn gar nichts dagegen unternehmen? Immerhin sind das drei verschiedene Arten von Götterkindern. Sie hätten ihnen doch zahlenmäßig überlegen sein müssen.«
»Das schon, allerdings sind die Götterkinder über die gesamte Welt verstreut. In den slawischen Ländern leben die Nymphen und die Gargoyles , in Griechenland die Sirenen, in den romanischen Ländern die Satyr en.«
In schneller Abfolge erschienen nun in dem Lichtstrahl die Gestalten der Wesen, die er nannte. Einige kamen mir ziemlich bekannt vor, denn ich hatte sie bereits als Zeichnungen in den Büchern gesehen, die Macius mir gegeben hatte. Die Gargoyles waren riesige Fledermäuse, die Sirenen sahen wie große Vögel aus, und die Satyren waren halb Mensch, halb Ziegenbock. Wahrscheinlich konnten sich alle Götterkinder in einer Menschenform verstecken, um nicht aufzufallen. Bei Aiko wusste ich es ja schon, und Pheme hatte ich bisher noch nicht mal als Sirene gesehen.
»Deutschland und Polen waren das Reich der Pontonier, also der Nixen und Wassermänner. England und Irland bewohnten die Banshees, und die Trolle hausten in den Nordländern. Oni leben in Asien. Außerdem gibt es noch ein paar Götterkinder, die nicht einmal mir bekannt sind. Einige von ihnen waren sogar schon vor meiner Zeit ausgestorben, und ihre Namen sind größtenteils vergessen.«
»Sie alle haben sich nicht zusammenschließen können, um Bedrohungen durch die Nyxianer abzuwenden?«
»Es ist wie bei den Menschen. Meist kümmert sich ein jeder um seine eigenen Belange. Innere Streitigkeiten halten sie davon ab, Bündnisse zu
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