Das Lied der Banshee: Roman (PAN) (German Edition)
schließen, und einige von ihnen haben schlichtweg die Augen vor allem verschlossen. Jetzt sehen wir, wozu das führt. Die Nyxianer greifen uns an, und wir sind nicht nur zu wenige, sondern auch zu verstreut, um sie zu stoppen.«
Ich hätte nicht gedacht, dass es unter den Götterkindern auch so was wie Politik gab. Aber vor allem Macius’ letzter Satz, zu wenige, um sie zu stoppen, ließ mir den Magen in die Kniekehlen rutschen. Es fühlte sich fast ein bisschen nach meiner Krake an. Das brachte mich wieder auf die Frage, die ich dem Wassermann schon seit einer Weile stellen wollte. »Kannst du mir erklären, woher dieses seltsame Gefühl kommt, das ich immer mal wieder habe, seit mich diese Kerle zusammengeschlagen haben?«
»Welches Gefühl?«, fragte Macius, während er mit einer Handbewegung das Licht und die Bilder im Lichtstrahl wieder zu undefinierbaren Lebenslinien werden ließ.
»Na ja, das Gefühl, als hätte ich eine Krake in meiner Brust. Hin und wieder ist es da, und zwar selbst dann, wenn ich nicht gerade gegen die Harpyien anschreien muss.«
Macius betrachtete mich eine Weile. Erst jetzt fiel mir auf, wie schön seine Augen waren, auch wenn sie nicht leuchteten.
Blöder Gedanke. Er war ein Wassermann, einige hundert Jahre älter als ich und, ähm … egal.
»Du entstammst einer langen Reihe von Banshees. Mindestens hundert von ihnen müssen sich entschieden haben, Kinder zu gebären und das Risiko einzugehen, bei der Geburt einer Tochter zu sterben. Oder, besser gesagt, als Echo in die Seele der Tochter einzugehen. Deine Mutter muss bereits eine sehr mächtige Banshee gewesen sein.«
Meine Mutter war für mich nicht viel mehr als ein Bild, das ich als Kind angeschaut hatte. Aber jetzt war ein Teil von ihr in mir – ein Echo ihrer Seele. Ob ich sie dadurch wirklich kennenlernen konnte? Als Kind hatte ich mir nichts sehnlicher gewünscht. »Mein Vater hat nie etwas von ihr erzählt. Wir hatten nur ein Foto …«
»Dein Vater hat vermutlich gar nicht gewusst, was sie ist. Vielleicht wusste sie es selbst nicht. Wärst du nicht verfolgt und angegriffen worden, hättest du es wahrscheinlich auch nicht herausgefunden. Eine Banshee muss wie jedes andere Götterkind erweckt – oder von einem der Ihren eingewiesen werden, sonst schlummert ihre Gabe auf ewig in ihrer Seele.«
»Das heißt, ich hätte es nur daran gemerkt, wenn ich bei der Geburt einer Tochter gestorben oder unnormal alt geworden wäre.«
»Besonders alt wärst du nicht geworden, denn dein verlängertes Leben ist Teil der Erweckung. Nur ein Götterkind, das weiß, was es ist, und das seine Fähigkeiten einsetzen kann, wird auch die maximale Altersspanne erreichen. Sofern du keine Tochter gebierst, kannst du sehr alt werden, was für unsere Sache von Vorteil ist.«
»Was ist mit dem Wahnsinn, von dem die Banshees befallen werden?«
»Es ist eine Möglichkeit, aber nicht unvermeidbar. Der Wahnsinn rührt meist davon her, dass sie es nicht mehr ertragen können, die Todesbotin für so viele zu sein. Früher, als die Menschen nicht besonders alt und von Pest, Hunger und Kriegen bedroht wurden, gab es auf eine Region begrenzt sehr häufig Todesfälle. Die Banshees zog es zu jedem von ihnen, egal ob arm oder reich, und manchmal verkündeten sie mehrmals in einer Nacht das Nahen des Todes. Du kannst dir vorstellen, wie unangenehm das für jemanden sein muss, der neben seinem Göttererbe auch noch eine menschliche Seele hat.«
Macius machte eine kurze Pause, als wollte er mir Zeit geben, das alles zu verdauen, trotzdem hatte ich jetzt schon das Gefühl, ihn sehr gut verstanden zu haben. Halte dich von Sterbenden fern, sonst wirst du verrückt. Alles klar. »Aber …«
»All das beantwortet natürlich nicht deine ursprüngliche Frage«, unterbrach er mich lächelnd und ließ sich auf dem Stuhl gegenüber von mir nieder. Er wirkte ein bisschen müde. »Dein Gefühl rührt von den Echos in deiner Seele her. Du hast sicher schon gehört, dass seelische Probleme Menschen auch körperlich krank machen können.«
Ich nickte. Man sah es ja an meinem Vater. Aus Lebensfreude war er bestimmt kein Alkoholiker geworden.
»Du spürst die Echos deiner Ahninnen nicht nur in deiner Seele, sondern auch in deinem Körper. Es ist wie ein Schall, der sich zwischen deinen Organen breitmachen will, und du musst lernen, die Echos zu beherrschen. Wenn du das kannst, wirst du keine Beschwerden mehr fühlen, dafür aber die ganze Kraft, die in deiner Stimme
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