Das Lied der Banshee: Roman (PAN) (German Edition)
liegt, nutzen können.«
Das klang einleuchtend. Nur wie sollte ich diese Echos beherrschen?
»In den folgenden Tagen wirst du deine Stimme erproben, und zwar tief unten im Brunnen, wo sie keinen Schaden anrichten kann.«
Ich wollte schon fragen, ob meine Stimme wirklich Gegenstände zu beschädigen vermochte, da fielen mir wieder die Fenster ein, die geborsten waren, als mich die Schläger überfallen hatten. Kein Zweifel, die hatte ich demoliert. Und das mit gänzlich ungeübter Stimme.
»Macius«, begann ich, als mir ein anderer Gedanke kam. »Ist eine Banshee auch schon mal zur Rächerin geworden? Ich habe das in einem meiner Träume gesehen, jedenfalls glaube ich das.«
Der Wassermann warf mir einen Blick zu, den ich nicht ganz einordnen konnte. Schon wieder fiel mir auf, wie gut er eigentlich aussah, mit seinen ernsten Augen und den aristokratischen Gesichtszügen. Verdammt, nachher musste ich den Kopf wohl mal in kaltes Wasser stecken, um mich wieder einzukriegen. Wenn ich jetzt auch noch anfing, Macius anzuhimmeln, war ich echt bald ein Fall für die Klapsmühle. Es sei denn, das würde mich von Thomas heilen. Hhmn …
Macius’ Stimme brachte mich schlagartig wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Ich musste mich wirklich wieder auf dieses Gespräch konzentrieren. »Banshees greifen nur selten in die Geschicke der Menschen ein. Sie sind dazu da, den Tod anzukündigen und ihn nicht zu bringen.«
»Anscheinend hat das eine meiner Vorfahrinnen anders gesehen.«
»Wovon genau hat deinTraum gehandelt?«
»Ich bin über ein Schlachtfeld gelaufen, überall war Blut, und dann habe ich die Soldaten entdeckt. Ich bin in das Zelt ihres Anführers gegangen, der seelenruhig dagesessen hat. Als er mich bemerkte, fiel er tot um. Ach so, und ich hatte irgendwie Klauen oder so was an den Händen.«
Macius sog scharf die Luft ein. »Das ist unglaublich.«
»Was?«
»Eine der wenigen Banshees, die einen Menschen getötet haben, war Barbara of Bannockburn, eine irische Adlige. Nach einem Massaker, das die Engländer an ihren Leuten verübt haben, starb der Heerführer auf mysteriöse Weise. Man erzählt sich, dass sie den Mann zu Tode erschreckt haben soll. Seitdem fürchtete man die Banshees nicht nur als Todesbotinnen, sondern auch als Ungeheuer.«
Toll, dann war ich also auch ein Ungeheuer. Herzlichen Dank, liebste Urururoma.
»Du bist also eine Nachfahrin dieser Barbara. Ich glaube es nicht!«
Ich sah Macius scharf an. »Du hast sie doch wohl nicht gekannt, oder?« Wenn man es genau nahm, könnte auch der Wassermann einer meiner Vorfahren sein. Schließlich hatte er in den letzten tausend Jahren die Gelegenheit gehabt, Dutzende meiner Vorgänger kennenzulernen. Ein gruseliger Gedanke. Ich hätte beinahe mit ihm geflirtet.
»Nein, nicht persönlich.«
Puh, Glück gehabt. Macius redete sogleich weiter. »Sie war eine Legende unter den Aitherischen. Viele, die schon etwas älter sind, haben von ihr gehört. Sagen wir es mal so, Barbara war die Kriegerin unter den Banshees.«
»Was bedeutet das für mich?«
Macius lächelte breit. »Dass du eine sehr mächtige Banshee werden kannst. Eine, die die Nyxianer das Fürchten lehrt. Jetzt wird mir auch klar, warum es die Harpyien auf eine Aitherische abgesehen hatten, die noch nicht erwacht war.«
Na, wenn das nichts war! Demnach war ich so etwas wie eine Krieger-Banshee!
»Barbara war beinahe sechshundert Jahre alt, als sie einen Mann kennenlernte und sich entschloss, ein Kind zu bekommen.«
»Dann war sie also gar nicht wahnsinnig?«
»Nein. Schwächere wären es vielleicht geworden, aber nicht sie. Sie entschied sich für das Kind, obwohl sie wusste, dass es ihr Tod sein konnte. Im Nachhinein betrachtet, könnte man vielleicht sagen, sie hat sogar geahnt, dass es ein Mädchen war, das in ihr heranwuchs. Und sie wusste auch, dass ihre Seele in das Kind übergehen würde.«
»Sie ist also gestorben.«
»Sonst wärst du nicht hier! Es hat in deiner Familie immer wieder Banshees gegeben, die Töchter geboren haben. Die Seelen all dieser Frauen ruhen jetzt in dir.« Seine Hand zuckte vor, als wollte er sie mir wie bei einem kleinen Kind auf die Brust legen. Doch noch bevor ich reagieren konnte, besann er sich und ließ die Hand sinken. »Deine Stimme ist der Schlüssel zu den Seelen in dir. Je besser du deine Stimme beherrschst, desto eher wirst du auf die Erinnerungen deiner Vorfahrinnen zugreifen können.«
»Und wie mache ich das?«
»Das werde ich
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