Das Lied der Banshee: Roman (PAN) (German Edition)
schon, aber die wenigsten Menschen sind das. Ich selbst habe in den tausend Jahren, die ich auf dieser Erde weile, bestenfalls eine Handvoll Männer und Frauen getroffen, die imstande waren, einem Nyxianer zu widerstehen.«
Verdammt, in was hatte ich Thomas da nur hineingezogen?
»Woran merkt man, dass ein Mensch von einem Nyxianer beeinflusst wird? Gibt es irgendwelche Hinweise, oder tickt er gleich aus?«
»Die Beeinflussung kann sehr subtil sein. Manchmal wird jemand plötzlich zum Mörder, dann wieder vollzieht sich der Prozess schleichend. Nachtmare haben ihre Freude daran, Menschen durch Traumbilder langsam in den Wahnsinn zu treiben – oder sie dazu zu bringen, genau das zu tun, was sie verlangen. Meist wollen Nyxianer Tod und Verderben, und das bekommen sie auch, ohne sich die Finger schmutzig zu machen.«
»Was bewahrt uns davor, dass sämtliche Menschen auf uns losgehen?« Ein schrecklicher Gedanke kam mir. Was, wenn die Nyxianer Menschen dazu gebracht hatten, Kriege zu führen oder Hexenprozesse gegen andere Götterkinder anzuzetteln?
»Uns bewahrt, dass es auch von den Nyxianern nicht übermäßig viele gibt. Jeder Nyxianer, der einen Menschen unter seinem Einfluss hält, muss sich auf sein Opfer konzentrieren, und zwar pausenlos. Lässt er die Zügel der Kontrolle auch nur für einen Moment schleifen, erwacht der Mensch und wundert sich über die Situation, in die er geraten ist – oder in die er seine Mitmenschen gebracht hat. Es ist mit der Situation zu vergleichen, wenn Menschen nach einem Mord wieder zu sich kommen und sich darüber wundern, dass sie eine Waffe in der Hand halten. So fühlt sich jemand, bei dem kurzzeitig die Kontrolle gelockert oder aufgegeben wird.«
Das hörte sich ja furchtbar an!
»Aber mit Einzelheiten will ich dir jetzt nicht den Schlaf rauben. Morgen ist auch noch ein Tag.« Damit erhob er sich und wandte mir den Rücken zu. »Gute Nacht, Aileen!«
Er war aus der Tür, bevor ich etwas erwidern konnte. »Gute Nacht, Aileen«, äffte ich ihn böse nach und warf mich frustriert wieder in die Kissen.
Verdammter Wassermann!
Von wegen er wolle mir nicht den Schlaf rauben! Genau das hatte er gerade getan. Wahrscheinlich würde ich die restliche Nacht darüber nachdenken, was passierte, wenn Thomas in die Fänge eines dieser Monster geriet.
14. Kapitel
T atsächlich gelang es mir, noch einmal einzuschlafen, allerdings träumte ich wieder – immerhin nicht die üblichen Banshee-Träume. Diesmal sah ich mich selbst als Hexe auf dem Scheiterhaufen. Tausende Menschen umstanden mich und wollten sehen, wie ich brannte. Rufe wurden laut. »Schickt die Hexe zur Hölle! Lasst sie im Feuer schmoren!«
Ich hatte keine Ahnung, was ich Schlimmes getan hatte, aber ich wusste, dass es kein Entrinnen gab. Meine Hände waren an dem Pfahl hinter mir festgebunden, ebenso meine Füße.
Dann erschien der Henker, der in einen dunklen Mantel gekleidet auf mich zukam. In der Hand trug er eine Fackel, sein Gesicht war unter einer Kapuze verborgen. Ich flehte ihn an, mich nicht zu verbrennen, doch er schien mich nicht zu hören. Oder nicht beachten zu wollen. Die trockenen Äste unter meinen Füßen knackten bedrohlich. Wenn auch nur ein Funke sie berührte, würden sie sofort in Flammen aufgehen.
»Verbrennt sie! Verbrennt sie!«, rief die Menge im Chor. Der Henker hatte vor dem Scheiterhaufen haltgemacht und schien die Anfeuerungsrufe zu genießen. Eine ganze Weile stand er da und weidete sich an meiner Angst, ohne dass ich sein Gesicht erkennen konnte. Schließlich hob er den Kopf und strich die Kapuze zurück.
Ich erschrak zutiefst, als ich in das Gesicht von Thomas sah. Eisig lächelte er mich an und stieß die Fackel in den Scheiterhaufen.
Mit einem Aufschrei schreckte ich aus dem Schlaf. Mein Herz raste wie wild, und meine Gliedmaßen zitterten.
»Verdammter … Mist«, keuchte ich, während ich panisch nach dem Lampenschalter tastete. »Blöde … Akten.«
Als das Licht aufflammte, beruhigte ich mich allmählich wieder. Wenn ich früher aus einem schlimmen Traum aufgewacht war, hatte ich mich damit beruhigt, dass ich aus dem Fenster geblickt und die Sterne beobachtet hatte. Nicht mal dazu war ich jetzt fähig.
Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass es Viertel vor sechs war. Vielleicht schadete es nicht, mit einem frühen Frühstück den Tag zu beginnen.
Ich stieg aus dem Bett, nahm mir frische Unterwäsche und meinen Jogginganzug und stapfte zur Dusche.
Doch auch das
Weitere Kostenlose Bücher