Das Lied der Banshee: Roman (PAN) (German Edition)
Pantos anscheinend der Schürzenjäger, allerdings hütete ich mich, den Gedanken laut auszusprechen.
»Beweise für die Mitwirkung eines Wächters an dem Untergang gibt es natürlich nicht. Die Menschen glaubten, der Zorn der Götter habe die Städte getroffen.«
»Und sie haben umsonst zu ihnen gebetet.«
»Wenn in der griechischen Mythologie von Zeus und den Göttern des Olymp die Rede ist, meinen die Menschen eigentlich die Wächter. Dasselbe gilt für die römischen, nordischen, südamerikanischen, asiatischen und afrikanischen Götter. Sie sind bloß Wächter und machen sich nichts aus Gebeten.«
»Und die Götter?«
Macius senkte leicht beschämt den Kopf. »Ich fürchte, die hören die Gebete nicht.«
»Warum haben die Menschen sie dann verehrt? Sie müssen doch gemerkt haben, dass es nichts bringt.«
»Menschen suchen immer nach Antworten«, entgegnete Macius. »Sie wollen zu jeder Sache den Hintergrund kennen. Das ist heute so, und damals war es nicht anders. Die Menschen haben sich Dinge in der Natur, das Wetter, die Pflanzen, die Tiere, immer schon mit Göttern erklärt. Ich schätze mal, dass es in ihrem Bewusstsein einen Code gibt, der sie wissen lässt, wer das alles hier geschaffen hat. Deshalb erklärten sie sich die Welt mit dem Wirken der Götter. Oder mit dem der Wächter, als die Götter schon so lange verschwunden waren, dass ihre Geschichten so gut wie vergessen waren. Entweder formten sie jeweils ihre eigenen Gottheiten oder fassten sie zu einer einzigen starken Vaterfigur zusammen.«
Götter? Wächter? Untergegangene Städte? Mir schwirrte der Kopf. Wie konnte uns das in unserer jetzigen Lage weiterhelfen? Hatte der jetzige Wächter etwas mit den Angriffen der Nyxianer zu tun? Oder warum verhinderte er sie nicht? Wäre es vielleicht möglich, die Namen der Wächter herauszubekommen? Sie irgendwo auf der Erde zu finden? Was, wenn wieder einer von Nyx’ Söhnen gerade die Herrschaft übernommen hatte? Was, wenn …
»Dazu kann ich dir in den nächsten Tagen und Wochen sicher noch mehr erzählen. Jetzt sollten wir damit beginnen, deine Stimme zu finden und zu trainieren.«
Macius hatte recht. Für mich war das alles neu, der Wassermann hingegen hatte mir erst einen Bruchteil seines Wissens vermittelt. Ich bezweifelte, dass ich irgendwelche Ideen entwickeln konnte, die Macius nicht schon lange vorher eingefallen waren. Was für ein deprimierender Gedanke!
Also sollte ich mich auf das Wesentliche konzentrieren, und das war im Augenblick mein Training. Was hatte Macius gesagt? Meine Stimme finden? Wo sollte sie sein, außer in mir drin?
»Eine unausgebildete Banshee kann ab einem bestimmten Alter ihre Stimme benutzen. Allerdings ist die Wirkung purer Zufall. Mal ist sie so stark, dass sie einen Gegner sofort tötet, dann wieder so schwach, dass einer Harpyie nicht mal eine Feder ausfällt. Je mehr Echos eine Banshee in sich trägt, desto stärker kann ihre Stimme werden. Dazu muss es ihr aber gelingen, in die einzelnen Schichten der Echos vorzudringen.«
»Einzelne Schichten?«
»Ja, du musst dir die Echos verschachtelt vorstellen. Jedes vorhergehende ruht im nachfolgenden.«
»Demnach bin ich so etwas wie eine Matroschka.« Mein Vater hatte eine von diesen russischen Holzpuppen besessen. Als Kind hatte ich oft damit gespielt und war fasziniert gewesen, dass sich im Bauch einer jeden stets eine weitere befand, bis das Püppchen schließlich so klein war, dass kein weiteres hineinpasste. So komisch war der Vergleich gar nicht, schließlich hätte ich ja auch sagen können, ich bin wie eine Zwiebel.
»Ja, so kann man es sich durchaus vorstellen. Zunächst gibt es da die Urseele einer Banshee, diese ist das kleinste Püppchen. Wenn diese Banshee eine Tochter gebiert, nistet sich ihre Seele in die Seele der Nachfahrin ein und immer so fort. Jede neue Banshee nimmt sämtliche Seelenechos ihrer Vorfahrinnen in sich auf und umschließt sie.«
»Du meinst, dass ich etwa hundert dieser Echos in mir trage?«
»Mindestens. Als Nachfahrin von Barbara of Bannockburn ganz gewiss, denn sie war bereits eine sehr mächtige Banshee.«
Na, das wäre dann ja eine Monster-Matroschka. »Da wird es mich sicher viel Mühe kosten, um bis zu dem Urkern vorzudringen.«
»Sehr viel Mühe sogar, und vielleicht schaffst du es nie. In die Echos vorzudringen birgt auch eine große Gefahr. Du könntest dich in den vergangenen Leben verlieren und nicht mehr herausfinden. So weit darf es allerdings nicht
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