Das Lied der Cheyenne
bat Maheo, noch einen Sonnentanz erleben zu dürfen. So lange würde es dauern, bis Büffelfrau ausgebildet war und seine Nachfolge antreten konnte. Er rauchte die heilige Pfeife und ehrte die Kräfte im Himmel und unter der Erde und in den vier Himmelsrichtungen. »Ei-e-ya, beschützt diese junge Frau und begleitet sie in eine ungewisse Zukunft. Ich weiß, ihr Weg wird nicht einfach sein. Ihr haltet schwere Prüfungen für sie bereit, und sie ist dazu ausersehen, ihr Volk gegen einen starken Feind zu verteidigen. So habe ich es in meinen Träumen gesehen. Bleibt an ihrer Seite und gebt ihr Kraft, wenn sie schwach zu werden droht. Evox-po-hess, gebt ihr Kraft!«
Büffelfrau war eine gute Schülerin. Sie stellte kluge Fragen und lernte schnell. Ihr Wissensdrang war groß, und sie ging fast jeden Tag zu Sieht-hinter-die- Berge und hörte ihm zu.
»Onkel, warum werden die Menschen krank?«
»Weil böse Wesen, die in der Erde wohnen, unsichtbare Pfeile in sie schießen. Du musst versuchen, diese Pfeile aus dem Körper zu ziehen, wenn du einen Kranken behandelst. Vertreibe die bösen Geister und bitte sie um Hilfe.«
So war es geschehen, als der Schamane zu einer kranken Frau gerufen worden war. Sie hatte ihn begleitet, und auch der zwei Jahre ältere Angst-vor-Pferden war dabeigewesen. Er hatte geschworen, kein Pferd mehr zu besteigen, seit er mehrmals abgeworfen und fast zu Tode getrampelt worden war. »Ich bin nicht dazu bestimmt, auf die Jagd zu gehen und in den Krieg zu ziehen«, sagte er, »aber ich habe geträumt, dass ich viele Menschen heilen werde.« Seitdem ging auch Angst-vor-Pferden in die Lehre. Bei Sieht-hinter-die-Berge und einer alten Frau, die jedes Kraut und jede Wurzel kannte, lernte er, was er als Medizinmann wissen musste. »Ich bin kein heiliger Mann«, sagte er, »die Geister sprechen nicht zu mir. Ich bin ein Heiler.«
Also hatte Angst-vor-Pferden bestimmte Heilkräuter zerkaut und auf die Wunden der alten Frau gelegt, und Büffelfrau hatte dem alten Schamanen geholfen, die bösen Geister zu befreien. Sie hatte die Augen geschlossen und das Lied gesungen, das Sieht-hinter-die-Berge ihr beigebracht hatte, und sie hatte einen leichten Ruck gespürt, als der unsichtbare Pfeil den Körper der kranken Frau verlassen hatte. Es war ein gutes Gefühl gewesen. Sie war im Einklang mit den guten Geistern und hatte die Kraft, sie mit ihren Liedern und Gebeten herbeizurufen.
Eines Tages erschien Büffelfrau mit einer toten Eidechse im Tipi des Schamanen. Das Tier hatte zu lange in der Sonne gelegen und war auf einem flachen Felsen verendet. Das Mädchen wäre achtlos daran vorbeigelaufen, aber eine innere Stimme hielt sie an und zwang sie, sich die tote Eidechse näher anzusehen. »Es war seltsam, Onkel«, berichtete sie, »aber ich hatte das Gefühl, dass sie zu mir spricht. Ihr Leib funkelte, und sie bewegte plötzlich ihren Kopf und sagte: ›Ich will bei dir bleiben und dich beschützen. Nimm mich mit.‹ Was hat das zu bedeuten, Onkel? Ist sie mein Schutzgeist?«
»Nein, mein Kind«, antwortete der Schamane, »die Eidechse ist ein Glücksbringer. Sie wird in deinem Medizinbeutel zu Staub zerfallen und dich auf der Jagd oder auf dem Kriegspfad beschützen. Deinen Schutzgeist triffst du erst, wenn du in die heiligen Berge gehst und fastest. Du wirst ihn in deiner Vision sehen und alles erfahren, was die Geister dir sagen wollen.«
»Wann gehe ich in die Berge?«
»Du wirst wissen, wenn es so weit ist.«
»Wie, Onkel?«
»Ich weiß es nicht«, gab der Schamane zu, »bei dir ist alles anders. Die Frauen, die ich kenne, hatten keine Visionen. Du bist ganz anders. Du bist meine Nachfolgerin und wirst dem Süße-Medizin-Häuptling die Pfeile überbringen, wenn ich einmal tot bin. So habe ich es geträumt. Du wirst als Kriegerin über die Prärie reiten und unser Volk in eine neue Zukunft führen.«
»Du beschämst mich, Onkel«, sagte Büffelfrau bescheiden. Sie wollte nicht, dass man sie wie einen Geist verehrte und das Schicksal des Volkes in ihren Augen sah. Obwohl auch sie davon geträumt hatte. Es waren unheimliche Träume gewesen. Sie hatte ein Feuer und dunkle Gestalten gesehen, die sie einem fremden Gott opfern wollten. Sie hatte einen bärtigen Mann gesehen, der sie geschlagen hatte. Sie hatte die heiligen Pfeile in ihren Händen gesehen und frisches Blut gefühlt. Die Bilder waren verschwommen gewesen, wie der Dunst, der nach einem langen Regen aus den Wiesen steigt. Die Stimmen waren aus
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