Das Lied der Cheyenne
weiter Ferne gekommen, und sie hatte sie nicht verstanden.
Sie hatte diese Träume für sich behalten und Sieht-hinter-die-Berge nur erzählt, dass sie eine ungewisse Zukunft mit vielen Gefahren gesehen hatte. »Ich habe Angst, Onkel«, sagte sie, »alle sehen mich an, weil ich deine Nachfolgerin bin, und sogar meine Freundinnen glauben, dass den Hügelleuten gute Zeiten bevorstehen. Ich sehe dunkle Schatten und viele Gefahren. Wie soll ich diese Gefahren bekämpfen, Onkel? Sag es mir.«
»Du wirst es erfahren«, sagte Sieht-hinter-die-Berge, als sie zum ersten Mal die Pfeife miteinander rauchten. Er hatte sie mit vielen Kräutern gestopft, damit Büffelfrau nicht so viel husten musste. »Dein Schutzgeist wird es dir sagen. Er wird dir helfen, die bösen Kräfte zu besiegen.«
»Ich habe Angst.«
»Vertraue den guten Kräften.« Sieht-hinter-die-Berge sprach ihr Mut zu. »Bete zu Maheo und versöhne den Geist der Erde und die vier Himmelsrichtungen mit deinem Rauch. Verletze keine Tabus und vertraue der Kraft aus deinen Gebeten.«
Büffelfrau nahm sich den Rat ihres Lehrmeisters zu Herzen und betete jeden Tag. Sie schlug die Trommel ihres Vaters und sang die heiligen Lieder, die Sieht-hinter-die-Berge ihr beigebracht hatte. Sie spürte die neue Kraft. Sie beseelte ihren Körper und ihre Gedanken und flossen wie neues Blut durch ihre Adern. Sie lebte jetzt intensiver und bewusster und sah Bilder, die sie vorher nie gesehen hatte. Sie hörte neue Stimmen und fühlte, wie Maheo ihr neues Leben eröffnete. Eine neue Sicht der Dinge, die selbst den Alltag zum Abenteuer machte.
»Alle Dinge sind lebendig«, erklärte Sieht-hinter-die-Berge, »und die geheimnisvollen Kräfte sind überall. In den Wolken am Himmel und in den Steinen, die auf dem Boden liegen. In den Menschen und Tieren, die deinen Weg kreuzen. In den Bäumen, den Blumen, im Gras auf der Prärie, öffne die Augen und ehre alles, was lebendig ist. Die Tiere, die Pflanzen, die Steine, die Erde, auf der wir gehen. Ehre das große Geheimnis, und du wirst im Einklang mit der Natur und den Kräften leben.«
Büffelfrau richtete sich nach den Worten des Schamanen und sah, dass sich ihr eine neue Welt offenbarte. Sie lag stundenlang im Gras und beobachtete die kleinen Tiere. Die Ameisen, die schwere Lasten schleppten und sich einen Weg durch die aufgewühlte Erde bahnten. Die Käfer, die über kleine Steine und abgeknickte Grashalme kletterten und vor jeder leichten Berührung unter die Erde flohen, die Verwandten ihrer Medizin-Eidechse, die schnell wie die Feuerlanzen des Donnervogels durch das Gras huschten. Die bunten Schmetterlinge, die über den Blumen flatterten und ihre ganze Pracht zeigten. Das Gras, das im Wind flüsterte. Die heilenden Kräuter mit ihrem Duft.
Sie nahm etwas Erde und ließ sie durch ihre Finger rinnen. »Die Erde ist unsere Mutter«, hatte der alte Sieht-hinter-die-Berge gesagt, »die Erde ist uns heilig.« Sie fühlte die Kraft des feuchten Sandes auf ihrer Haut und sprach ein leises Gebet. Alle Dinge sind lebendig, erkannte sie, der Schamane hat recht. Wir sind nur ein kleiner Teil in dieser lebendigen Welt.
Sie griff nach einem kleinen Stein. Der Regen hatte ihn zu einer Kugel gewaschen, und die glatte Oberfläche glitzerte bunt im Sonnenlicht. Sie spürte, dass eine besondere Kraft von diesem Stein ausging, und steckte ihn zu der toten Eidechse in ihren Medizinbeutel. »Du wirst mir Kraft geben«, sagte sie leise. »Du bist lebendig und wirst zu mir sprechen, wenn ich in eine ungewisse Zukunft reite. Aiee, du wirst mich beschützen.«
Büffelfrau lernte jeden Tag etwas Neues. Sie war kaum noch mit den anderen Frauen unterwegs und schämte sich ein wenig, weil sie Otterfrau und Blitzfrau vernachlässigte. Sie mochte die beiden und wollte nicht, dass sie sich von ihr entfernten. Aber ihre Interessen waren zu verschieden. Otterfrau hatte bereits ihre erste Blutung gehabt und trug das weiche Lederband, das ihre Jungfräulichkeit bewahren sollte. Roter Mond warb jetzt offen um sie, und es war kein Geheimnis, dass die beiden heiraten würden, sobald der Junge beim Sonnentanz gelitten hatte. Er wollte sich dieser schwersten Prüfung eines Kriegers im nächsten Sommer unterziehen. Blitzfrau traf sich heimlich mit Kleiner Falke. Sie aß nicht mehr so viel, und ihre Streiche waren seltener geworden. Auch diese beiden würden heiraten.
Warum war sie nicht wie ihre Freundinnen? Warum sollte sie als Kriegerin über die Prärie reiten?
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