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Das Lied der Cheyenne

Das Lied der Cheyenne

Titel: Das Lied der Cheyenne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Jeier
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seltsam«, sagte Blitzfrau, »sie zuckt, als hätte sie ein Pfeil der Shar-ha getroffen. Was ist mit ihr?«
    »Sie leidet mit Weißer Biber«, erkannte Otterfrau. »Sie erleidet dieselben Schmerzen wie er. Es ist, als hätten sie dieselbe Seele und denselben Körper. Siehst du? Sie stöhnt laut, wenn Weißer Biber an den Lederstricken zerrt.«
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Wie sollen wir es verstehen, wenn selbst die alten Männer keine Antwort wissen?» Sie deutete auf die weisen Krieger des Volkes, die erstaunte Blicke auf Büffelfrau warfen. »Auch sie haben so etwas noch nicht gesehen. Nicht mal Sieht-hinter-die-Berge hat sich so benommen, als er noch gesund war.«
    Blitzfrau sah die Schamanin bewundernd an. »Büffelfrau ist eine besondere Frau«, sagte sie wieder, »sie ist anders. Sie kann sehen, wenn andere Menschen blind sind, und sie fühlt, was tapfere Krieger nur erahnen.«
    Die Sonne stand jetzt hoch am wolkenlosen Himmel. Der Rhythmus der Trommeln war schneller geworden und trieb die Tänzer bis zur Ekstase. Sie hingen schweißüberströmt an den Lederstricken und stemmten sich mit aller Kraft gegen die heilige Fessel. Die Stricke schnitten tief in das blutige Fleisch. Die jungen Männer hatten längst die Orientierung verloren und taumelten nur noch im treibenden Rhythmus. In ihren Augen standen Tränen, und ihre Körper waren von dem stechenden Schmerz erfüllt. Maheo stellte sie auf eine harte Probe, und nur wer diese Probe bestand, hatte das Recht, ein Krieger zu sein.
    Weißer Biber reckte die Arme nach oben. Seine Umgebung war ein glühendes Sonnenmeer, in dem er zu verbrennen drohte. Seine Gedanken explodierten. Die Lederstricke kamen direkt aus der Sonnenglut und bohrten sich als glühende Pfeile in seine Brust. Sein Körper schwankte willenlos, und er fühlte die große Schwäche, die sich wie ein unsichtbares Tuch über ihn legte und langsam zusammenzog. Er wollte seinen Schmerz und seine Verzweiflung hinausschreien, die Stricke aus der Haut reißen und sich der geheimnisvollen Kraft ergeben. Ich bin nicht stark genug, hämmerte es in seinen Gedanken, ich werde versagen und als ausgestoßener Feigling in der Fremde leben.
    »Sei stark!«, rief Büffelfrau und stimmte ein Lied an, das von dem Mut eines einsamen Kriegers erzählte. Sie blieb im Rhythmus der Trommeln und bewegte sich in der schwülen Luft. Ihr Körper war stark und geschmeidig, und ihre Gedanken widerstanden den geheimnisvollen Kräften, die Weißer Biber an seiner Mutprobe hindern wollten. Sie stemmte sich gegen den unsichtbaren Feind, und ihre Kraft übertrug sich auf den Körper des jungen Kriegers, der neuen Mut schöpfte und fühlte, dass er fast am Ziel war.
    Büffelfrau öffnete die Augen und blickte direkt in die Sonne. Ein greller Blitz explodierte vor ihren Augen. Sie rief ein letztes Mal nach dem Großen Geist, und die Fesseln ihres Verehrers zersprangen. Die Haut riss, und die Lederstricke schnellten an den Pfahl zurück. Weißer Biber fiel stöhnend zu Boden. Er war halb bewusstlos und spürte kaum, wie ihn die Arme eines jungen Schamanen vom Boden hoben und auf ein weiches Büffelfell legten. Der Schmerz war noch da, aber er fühlte ihn kaum. Er war glücklich, es geschafft zu haben. Er hatte seinem Volk bewiesen, dass er ein tapferer Krieger war. Sein Name würde in einem Atemzug mit dem von Gelber Wolf genannt werden, und er würde mit den Hundesoldaten auf den Kriegspfad gehen.
    Auch die anderen jungen Männer bestanden die Mutprobe. Sie ruhten sich auf bequemen Fellen von der Marter aus und genossen das glückliche Gefühl, jetzt zu den Erwachsenen zu gehören. Sie waren Krieger. Sie waren tapfere Männer. Die Frauen und Kinder würden sie respektvoll ansehen, und die Krieger würden sie als gleichwertige Männer behandeln. Roter Mond, der die Mutprobe am besten überstanden hatte und schon nach wenigen Minuten auf sein Pferd sprang, reckte eine Faust und rief: »Hokahey, dies ist ein guter Tag, meine Brüder!«
    Am Abend beendete Wolfsgesicht den Sonnentanz. Er rauchte die heilige Pfeife und streckte das Bündel mit den heiligen Pfeilen der Sonne entgegen. »Es war ein guter Sonnentanz«, sagte er. »Wir haben getanzt und gebetet und der Natur ein Opfer gebracht. Wir haben junge Männer gesehen, die zu tapferen Kriegern wurden. Ich habe die heiligen Pfeile erneuert, die ich von Sieht-hinter-die-Berge empfangen habe, und ich habe das Lied von Süße Medizin gesungen. Ich danke euch, meine Brüder. Ich bin

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