Das Lied der Cheyenne
Gipfeln erschien, und stieg erst dann auf ihr Pony. Sie ritt durch die Höhle und über den schmalen Pfad auf die Prärie zurück. Der Bussard erwartete sie. Als er sie bemerkte, schlug er mit den Flügeln und flog krächzend davon. Er würde zum Dorf eilen und dem Schamanen sagen, dass dessen Leidenszeit vorüber war.
17
Aufbruch
Sieht-hinter-die-Berge lag im Sterben, als sie das Dorf erreichte. Sie sprang von ihrem Pony, klopfte mit der flachen Hand an die Zeltklappe und betrat sein Tipi. Sie erschrak, als sie das eingefallene Gesicht ihres Lehrmeisters sah, und kniete betrübt vor ihm nieder. »Geh«, sagte sie leise zu Rehfrau, »ich will mit ihm allein sein.« Die alte Frau verließ das Tipi.
Büffelfrau griff nach der rechten Hand des Schamanen und erschrak, wie leicht und zerbrechlich sie war. »Ich grüße dich, Onkel«, sagte sie, »es freut mich, dich in dieser Welt zu sehen. Ich bin gekommen, um mich von dir zu verabschieden.«
Der Schamane lächelte kaum sichtbar. Er bewegte die dünnen Lippen und brauchte ein ganze Weile, um sich verständlich zu machen. »Ich grüße dich, meine Tochter«, erwiderte er leise. »Ich habe auf dich gewartet. Mein Körper ist schwach, und ich werde diese Welt verlassen, wenn ich dich gehört habe.«
»Du hattest ein gutes Leben, Onkel.«
»Ich weiß«, sagte der Schamane, »meine Medizin war immer stark, und ich habe viele Winter gesehen. Ich habe die Ponys der Ho-he gestohlen und die Skalpe der Shar-ha erbeutet, und ich habe für mein Volk gebetet und die Büffel gefunden. Jetzt bin ich alt, und der Große Geist ruft mich in eine andere Welt.«
»Aiee, du warst ein großer Mann.«
»Und du bist eine würdige Nachfolgerin.« Der alte Mann rang nach Luft, und es dauerte einige Atemzüge, bis er neue Kraft gesammelt hatte. »Du wirst unser Volk in eine neue Zukunft führen. Du wirst die Büffel holen und Krankheiten und Hunger von ihm fernhalten. Deine Kraft wird den Hügelleuten helfen, die Gefahren des Lebens zu meistern.« Er hustete leise, und sie wischte ihm den Speichel aus den Mundwinkeln. »Was hast du in den Bergen gesehen? Wie war deine Vision?«
»Ich hatte eine seltsame Begegnung«, begann sie mit ihrem Bericht, »ich habe deinen Schutzgeist gesehen.« Sie erzählte von dem großen Büffel und den Anweisungen, die sie von ihm bekommen hatte. »Ich soll den weißen Büffel finden«, sagte sie, »er wartet im Land der weißen Berge auf mich. Er wird mir sagen, welchen Weg ich gehen muss.« Sie schob eine Hand unter den Nacken des sterbenden Schamanen und hielt ihm eine Schale mit Wasser an den Mund. Sie wartete, bis einige Tropfen über seine Lippen perlten, und fragte: »Warum habe ich deinen Schutzgeist getroffen, Onkel? Warum muss ich nach Norden ziehen und nach dem weißen Büffel suchen?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete der Schamane mit schwacher Stimme. Seine Augen hatten allen Glanz verloren, und seine Hände begannen zu zittern. »Die Geister werden einen Grund dafür haben, dich auf eine so lange Reise zu schicken.« Seine Stimme brach. Er rang mühsam nach Luft und stammelte: »Es muss … etwas … sein, dass … am Wege … auf dich … wartet …«
»Onkel!«, rief sie erschrocken.
Sieht-hinter-die-Berge spürte, wie das Leben aus ihm entwich. Er hatte keine Angst. In der anderen Welt gab es ein Tipi für ihn, und er würde wieder als junger Krieger über die Prärie reiten und den Büffel jagen. Der Weg dorthin war beschwerlich, und es tat weh, die Menschen des Volkes zu verlassen, aber am Ende der hängenden Straße am Himmel brannte das Licht eines neuen Lebens.
Er nahm seine letzte Kraft zusammen und richtete sich auf. »Ich … muss … gehen«, brachte er mühsam hervor, »leb wohl, meine … Tochter … es war … ein … gutes … Leben …« Er streckte die freie Hand nach seinem heiligen Bündel aus und schloss die Augen. »Ich … bin … müde …«
Sieht-hinter-die-Berge sank zurück und starb. Der Medizinmann der Hügelleute war tot. Der heilige Mann, der als junger Krieger viele Feinde getötet und als weiser Schamane zu den Geistern gebetet hatte, war nicht mehr auf dieser Welt.
»Eni-to-eme«, sagte Büffelfrau leise. Sie stimmte das Totenlied der tsis tsis tas an und öffnete ihre Zöpfe, bis ihr Haar offen auf die Schultern fiel. Mit dem Messer fügte sie sich blutige Wunden an Beinen und Armen zu. Ihr Klagelied drang durch das ganze Dorf, und überall in den Tipis verstummte das Lachen, und Männer, Frauen und
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