Das Lied der Cheyenne
hatte. »Wir sind das einzig wahre Volk«, rief er, »und die Shar-ha werden es niemals schaffen, unseren Stolz zu brechen!« Das hatten sie längst getan, aber Kleiner Wolf wollte die tsis tsis tas aufrütteln und ihnen neuen Mut geben. »Die Shar-ha haben unsere Krieger getötet«, schloss er seine flammende Rede, »und sie haben die heiligen Pfeile gestohlen. Unsere Seele ist in ihrer Hand. Aber Büffelfrau verfügt über magische Kräfte und wird uns sagen, wie wir die Pfeile zurückholen können. Sprich, meine Schwester!«
Büffelfrau trat in den Feuerschein. Dunkle Schatten tanzten über ihr Gesicht, ihre Augen leuchteten. »Hört mich an, meine Brüder!«, rief sie. Ihre Stimme war dunkler geworden und schallte über das ganze Lager. »Die Shar-ha haben unsere heiligen Pfeile gestohlen, und die Hügelleute weinen um ihre Verwandten und Freunde. Die Geister haben uns verlassen. Unsere Pfeile und Kugeln treffen nicht mehr ins Ziel, und in den Tipis klagen die Frauen und Kinder. Aiee, dies sind harte Zeiten.« Sie spürte die Niedergeschlagenheit der versammelten Krieger und reckte die Arme zum Himmel. »Aber unser Volk ist stark. Wir reiten seit vielen Wintern über die Prärie, und keiner unserer Feinde hat uns in die Knie gezwungen.«
Zustimmendes Gemurmel wurde laut. Einige Krieger stießen ihre Fäuste nach oben oder riefen aufmunternde Worte. Kleiner Wolf lächelte zufrieden und zog an der heiligen Pfeife.
»Ich habe mit meinem Schutzgeist gesprochen«, fuhr sie fort. »Er hat mir gesagt, was schon der alte Schamane wusste, der im letzten Winter von uns ging. Ich habe die Kraft, die heiligen Pfeile zurückzuholen.« Wieder bekundeten Krieger ihre Zustimmung, diesmal lauter und leidenschaftlicher. Einige Männer sprangen auf und riefen das Mutwort des Stammes. Kleiner Wolf brachte sie mit einer Handbewegung zum Schweigen. »Hört, was Büffelfrau zu sagen hat«, rief er, »hört auf ihre Worte, meine Brüder!«
Büffelfrau spürte, wie sich Hoffnung in den Kriegern regte. Sie fühlte die unsichtbare Kraft des Adlers, der irgendwo in der Dunkelheit über ihr wachte, und sie wusste auf einmal, dass sie stark war. »Im Mond, wenn das Hochwasser kommt, werde ich ins Land der Shar-ha reiten«, kündigte sie an, »ich werde die Pfeile holen und unsere verwundeten Seelen heilen. So habe ich es von meinem Schutzgeist erfahren. Es ist eine schwere Aufgabe, aber ich werde sie meistern. Ich habe die Kraft, meine Brüder! Ich werde unser Volk in eine neue Zukunft führen!«
Nach Mitternacht, als sie längst in den Fellen lag und auf den Schlaf wartete, hörte sie das Schnauben eines Büffels vor ihrem Tipi. Sie blickte nach draußen und sah einen weißen Büffel auf dem nahen Hügelkamm. Ihr Schutzgeist. Sie würde auf ihrer Reise nicht allein sein.
26
Singende Krähe
Im Mond, als das Hochwasser kam, ritt Büffelfrau in das Land der Shar-ha. Sie trauerte immer noch um Weißer Biber und trug ihr Haar offen auf den Schultern. Das weiße Wildlederkleid, das sie während des langen Winters genäht hatte, war bis zu den Schenkeln hochgerutscht und gab den Blick auf die mit gelben Streifen verzierten Leggins frei. Auf ihren Bogen hatte sie eine neue Sehne gespannt, und auch die Pfeile in ihrem Köcher waren neu. Sie trug feste Mokassins und hatte ein Ersatzpaar in die Rohhauttasche gepackt. Nur die Geister wussten, wie lange ihr Ritt dauern würde, und sie war darauf gefasst, viele Monde in einem fremden Land zu verbringen.
Der Winter war sehr streng gewesen, aber sie hatten nicht gehungert. Die Vorratstaschen waren gut gefüllt gewesen, und Weidenfrau hatte nur im Mond des großen Rades einen Hund erwürgt. Sogar der alte Berührt-die-Wolken hatte überlebt. Als sich die ersten Knospen an den Bäumen zeigten, hatte Büffelhöcker zwei Antilopen erlegt, und auch die anderen Krieger waren erfolgreich gewesen. Der Fluch der verlorenen Pfeile hatte den Jagderfolg nicht verhindert. Büffelfrau hatte viel gefastet und gebetet, und die Geister hatten sich versöhnlich gezeigt. Aus dem getrockneten Fleisch hatten sie Pemmikan zubereitet, von dem auch sie während des Rittes zehren würde.
Die kalte Jahreszeit war den Geschichtenerzählern, Sängern und Spielern vorbehalten, die abends an den Feuern saßen und das Volk unterhielten. Die lustigen Geschichten um den listigen Kojote und fröhliche Lieder sollten den kalten Wind vertreiben, und bei aufregenden Würfelspielen wollte man den kniehohen Schnee vor den Tipis
Weitere Kostenlose Bücher