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Das Lied der Dunkelheit

Das Lied der Dunkelheit

Titel: Das Lied der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
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einem Fenster seinen Tee schlürfte und beobachtete, wie die Sonne über den Bergen aufging.
    »Du bist früh auf«, bemerkte Ragen lächelnd. »Aus dir wird wohl doch noch ein Kurier«, fügte er hinzu, und Arlen platzte beinahe vor Stolz.
    »Heute stelle ich dich einem Freund von mir vor«, kündigte Ragen an. »Er ist Bannzeichner. Als ich in deinem Alter war, gab er mir Unterricht, und er braucht einen Lehrling.«
    »Könnte ich nicht einfach bei dir in die Lehre gehen?«, erkundigte sich Arlen hoffnungsvoll. »Ich werde auch fleißig arbeiten.«
    Ragen schmunzelte. »Daran zweifle ich nicht, aber ich bin kein guter Lehrer, und ich verbringe mehr Zeit auf Reisen als zu Hause. Cob kann dir eine Menge beibringen. Er arbeitete schon als Kurier, als ich noch gar nicht geboren war.«
    Diese Nachricht munterte Arlen auf. »Wann bringst du mich zu ihm?«
    »Die Sonne steht über dem Horizont«, verkündete Ragen. »Nichts kann uns daran hindern, gleich nach dem Frühstück aufzubrechen.«
    Bald gesellte sich Elissa zu ihnen ins Speisezimmer. Ragens Diener deckten eine Tafel mit Speck, Schinken und mit Honig bestrichenen Brotscheiben; dazu gab es Eier, Kartoffeln und große Bratäpfel. Arlen schlang seine Mahlzeit hinunter, begierig, in die Stadt hinaus zu gehen. Nachdem er seine Portion verputzt hatte, saß er da und schaute Ragen beim Essen zu. Ragen kümmerte sich nicht um ihn, sondern speiste mit aufreizender
Langsamkeit, während Arlen unruhig auf seinem Platz hin und her rutschte.
    Endlich legte der Kurier seine Gabel hin und wischte sich den Mund ab. »Das hat mal wieder köstlich geschmeckt«, lobte er und stand auf. »Wir können gehen.« Arlen strahlte und schnellte von seinem Stuhl hoch.
    »Nicht so hastig!«, befahl Elissa, und beide Männer blieben abrupt stehen. Arlen war nicht darauf vorbereitet, welche Emotionen diese Worte, die wie ein Echo seiner Mutter klangen, in ihm wachriefen, und er unterdrückte eine heftige Aufwallung von Schmerz.
    »Ihr bleibt so lange hier, bis der Schneider kommt und Arlens Maße genommen hat«, bestimmte sie.
    »Wozu?«, fragte Arlen. »Margrit hat meine Sachen gewaschen und alle Löcher geflickt.«
    »Ich weiß deine Fürsorglichkeit zu schätzen, mein Liebling«, erwiderte auch Ragen, »aber jetzt, da der Besuch beim Herzog bereits stattgefunden hat, kann man sich mit dem Nähen einer neuen Garderobe ruhig Zeit lassen.«
    »Ich habe nicht vor, darüber zu diskutieren«, beschied Elissa ihnen und erhob sich langsam von ihrem Platz. »Jemand, der bei uns zu Gast ist, kann nicht herumlaufen wie ein Bettler.«
    Ragen sah die resolute Miene seiner Frau und seufzte. »Stell dich nicht quer, Arlen«, riet er dem Jungen leise. »Wir gehen nirgendwohin, bis sie ihren Willen durchgesetzt hat.«
    Nicht lange, und der Schneider erschien; ein kleiner Mann mit flinken Fingern, der Arlen von Kopf bis Fuß mit seinen Knotenschnüren vermaß und die Zahlen mit Kreide auf einer Schiefertafel festhielt. Als er fertig war, führte er ein angeregtes Gespräch mit Lady Elissa, danach verbeugte er sich und ging.

    Elissa schwebte zu Arlen hinüber und bückte sich, um ihm ins Gesicht zu sehen. »Das war doch gar nicht so schlimm, oder?«, fragte sie, wobei sie sein Hemd zurechtrückte und ihm die Haare aus der Stirn strich. »Jetzt kannst du mit Ragen loslaufen und Meister Cob besuchen.« Mit ihrer kühlen, weichen Hand streichelte sie seine Wange, und einen Moment lang schmiegte er sich in diese Berührung hinein; doch dann zog er sich jählings zurück, die Augen weit geöffnet.
    Ragen sah diesen Blick und bemerkte den gekränkten Gesichtsausdruck seiner Frau, während Arlen langsam vor ihr zurückwich, als sei sie ein Dämon.
    »Ich glaube, gerade hast du Elissas Gefühle verletzt, Arlen«, meinte Ragen, als sie das Anwesen verließen.
    »Sie ist nicht meine Mutter«, verteidigte sich Arlen, seine Gewissensbisse verdrängend.
    »Vermisst du sie sehr?«, fragte Ragen.
    »Und wie«, gab der Junge leise zu.
    Ragen nickte und sagte nichts mehr, wofür Arlen ihm dankbar war. Schweigend marschierten sie weiter, und Milns Fremdartigkeit lenkte seine Gedanken rasch von dem Vorfall ab. Der Gestank der Mistkarren war allgegenwärtig, als die Dungsammler von Haus zu Haus zogen, um die nächtlichen Exkremente abzuholen.
    »Igitt!«, ekelte sich Arlen und hielt sich die Nase zu. »Die ganze Stadt stinkt ja grässlicher als ein Stall. Wie hältst du das nur aus?«
    »Am schlimmsten stinkt es morgens, wenn

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