Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Lied der Dunkelheit

Das Lied der Dunkelheit

Titel: Das Lied der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
Vom Netzwerk:
Mery belohnte ihn mit einem Lächeln.
    Arlen runzelte die Stirn. »Darf ich dich etwas fragen?«
    »Selbstverständlich.«
    »Glaubst du wirklich daran? Der Fürsorger Harral hat immer behauptet, der Erlöser sei nichts weiter gewesen als ein ganz normaler Mann. Sicherlich ein großer Feldherr und General, aber nichtsdestotrotz ein sterblicher Mensch. Cob und Ragen teilen diese Ansicht.«
    Mery riss erschrocken die Augen auf. »Lass das bloß nicht meinen Vater hören«, warnte sie.
    »Denkst du denn, es sei unsere eigene Schuld, dass es die Horclinge gibt?«, fuhr er fort. »Dass wir sie verdienen?«
    »Natürlich glaube ich, dass es so ist«, betonte sie. »So steht es im Heiligen Kanon, der das Wort des Schöpfers wiedergibt!«
    »Der Heilige Kanon ist ein Buch wie jedes andere«, widersprach Arlen. »Und Bücher werden von Menschen verfasst. Wenn der Schöpfer uns etwas mitzuteilen hätte, würde er sich dann nicht anderer Wege bedienen? Wieso sollte er sich über ein Buch an uns wenden, wenn er seine Botschaft doch in flammender Schrift über den Himmel verteilen könnte?«

    »Manchmal fällt es schon schwer, daran zu glauben, dass es da oben einen Schöpfer gibt, der alles beobachtet«, gab Mery mit einem Blick gen Himmel zu. »Aber wie sollte es anders sein? Die Welt hat sich nicht selbst erschaffen. Wenn es keinen höheren Willen gäbe, auf dem die Schöpfung beruht, dann dürfte auch keine Macht existieren, die den Siegeln eine magische Wirkung verleiht.«
    »Und wie denkst du über den Fluch?«
    Mery zuckte die Achseln. »Die Geschichtsbücher berichten von fürchterlichen Kriegen. Vielleicht haben wir diese Strafe verdient.«
    »Das sehe ich nicht so«, versetzte Arlen. »Meine Mutter hatte es nicht verdient zu sterben, weil vor Jahrhunderten irgendein blöder Krieg ausgefochten wurde!«
    »Die Horclinge haben deine Mutter geholt?«, fragte Mery und berührte seinen Arm. »Arlen, das wusste ich nicht …«
    Arlen zog seinen Arm zurück. »Ist ja auch egal«, knurrte er. Er sprang auf und stürmte zur Tür. »Ich muss jetzt gehen und Schutzzeichen schnitzen, obwohl ich mich frage, warum ich mir überhaupt diese Mühe gebe, da wir alle ohnehin nichts Besseres verdienen, als in unseren Betten von Horclingen überfallen zu werden!«

13
    Es muss doch noch mehr geben
    326 NR
     
     
     
    L eesha bückte sich und suchte die Kräuter aus, die an diesem Tag gebraucht wurden. Manche zog sie zusammen mit Wurzeln und Stielen aus dem Boden. Von anderen schnitt sie nur ein paar Blätter ab oder knipste mit dem Daumennagel eine Knospe von einem Stängel.
    Sie war stolz auf den Garten hinter Brunas Hütte. Die Heilerin war zu alt, um das kleine Stück Land zu pflegen, und Darsy war es nicht gelungen, dem harten Boden etwas abzutrotzen, aber Leesha hatte ein natürliches Talent zum Gärtnern. Mittlerweile gediehen viele der Kräuter, nach denen sie und Bruna früher stundenlang in der Wildnis gesucht hatten, direkt vor ihrer Haustür, im Schutz der mit Siegeln versehenen Pfosten.
    »Du hast einen scharfen Verstand und einen grünen Daumen«, hatte Bruna sie gelobt, als die ersten Keimlinge durch den Boden stießen. »Nicht mehr lange, und du bist eine bessere Gärtnerin, als ich es je gewesen bin.«
    Leesha sonnte sich in dem Lob, und das Bewusstsein, dass ihre Leistung anerkannt wurde, gab ihr ungeheuren Auftrieb. Zwar bildete sie sich nicht ein, als Heilerin jemals an Bruna
heranreichen zu können, aber die alte Frau redete niemandem nach dem Mund und machte keine leeren Komplimente. Sie hatte erkannt, welche Talente in Leesha steckten, und was man von ihr noch erwarten durfte. Sie sah etwas in ihr, das anderen verborgen blieb, und das Mädchen wollte ihre Lehrerin nicht enttäuschen.
    Als der Korb mit Kräutern gefüllt war, richtete sich Leesha wieder auf, glättete ihr Röcke und steuerte auf die Hütte zu - falls man ihr neues Zuhause überhaupt noch so nennen konnte. Erny konnte es nicht ertragen, dass seine Tochter in einer so ärmlichen Umgebung leben sollte, und hatte dementsprechend gehandelt. Er schickte Zimmerleute und Dachdecker vorbei, die die baufälligen Wände abstützten und das verrottende Strohdach durch ein neues ersetzten. Bald war von der ursprünglichen Behausung kaum noch etwas übrig, und durch die umfangreichen Anbauten war sie zu doppelter Größe angewachsen.
    Bruna hatte sich über den Lärm beklagt, den die Männer durch ihre Arbeit verursachten, doch nun, da Nässe und Kälte nicht mehr

Weitere Kostenlose Bücher