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Das Lied der Dunkelheit

Das Lied der Dunkelheit

Titel: Das Lied der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
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eindringen konnten, hatte sich ihr Gesundheitszustand gebessert; vor allen Dingen litt sie nicht mehr an dem chronischen Husten und konnte viel freier atmen. Seit Leesha sich um die Alte kümmerte, schien sie mit jedem Jahr, das verging, kräftiger anstatt schwächer zu werden.
    Auch Leesha war froh, als die Arbeiten am Haus endlich abgeschlossen waren. Gegen Ende hatten die Männer begonnen, sie mit merkwürdigen Blicken zu mustern.
    Mittlerweile war Leesha körperlich voll entwickelt und hatte die gleiche üppige Figur wie ihre Mutter. Genau das hatte sie sich zwar immer gewünscht, doch nun bekam sie immer mehr die Nachteile zu spüren. Die Männer aus dem Ort bedachten sie mit gierigen Mienen, und das Gerücht, sie habe es mit
Gared getrieben, steckte immer noch in den Köpfen vieler Menschen, sodass nicht wenige Burschen glaubten, sie sei empfänglich für ein geflüstertes, unzüchtiges Angebot. Meistens reagierte sie darauf mit einem Stirnrunzeln, doch es kam auch vor, dass sie besonders schlüpfrige Bemerkungen mit einer herzhaften Ohrfeige quittierte. Evin musste sie mit einer gehörigen Dosis Pfeffer und Stinkkraut daran erinnern, dass er der Ehemann einer schwangeren Frau war. Eine Handvoll Blendpulver gehörte nun zu den vielen Dingen, die Leesha in den Taschen ihrer Röcke und Schürze ständig mit sich herumtrug.
    Doch selbst wenn sie sich für irgendeinen der jungen Männer, die ein Auge auf sie geworfen hatten, interessiert hätte, wäre wohl nichts daraus geworden, denn Gared sorgte dafür, dass ihr niemand zu nahe kam. Jeder Mann, bis auf Erny natürlich, der mit Leesha über etwas anderes als Heilkunde sprach, erhielt von dem stämmigen Holzfäller eine handfeste Warnung; Gared ließ nicht den geringsten Zweifel daran aufkommen, dass er sich nach wie vor als Leeshas künftigen Gemahl betrachtete. Sogar Jona das Kind fing vor Nervosität an zu schwitzen, wenn Leesha ihn nur freundlich grüßte.
    Bald würde ihre Lehrzeit bei Bruna vorbei sein. Als die Alte ihr eröffnet hatte, ihre Ausbildung dauere sieben Jahre und einen Tag, war Leesha diese Zeit wie eine Ewigkeit vorgekommen. Doch die Jahre waren wie im Flug vergangen, und das Ende der Lehrzeit war nun nur noch wenige Tage entfernt. Bereits jetzt schon zog Leesha tagtäglich los, um die Leute aufzusuchen, die die Dienste einer Kräutersammlerin benötigten; nur noch äußerst selten, wenn sie überhaupt nicht mehr weiterwusste, fragte sie Bruna um Rat, denn die Alte musste sich schonen.
    »Der Herzog beurteilt die Tüchtigkeit einer Kräutersammlerin danach, ob in einem Jahr mehr Kinder geboren werden als
Leute sterben«, hatte Bruna ihr gleich am ersten Tag erklärt. »Aber du solltest dich mit sämtlichen Aspekten des Heilens beschäftigen, dann werden die Menschen im Tal der Holzfäller binnen eines Jahres nicht mehr wissen, wie sie jemals ohne dich ausgekommen sind.« Brunas Prophezeiung hatte sich bewahrheitet. Von Anfang an nahm die Alte sie überallhin mit, ob es ihren Patienten passte oder nicht; deren Wünsche nach ein wenig Privatsphäre ignorierte sie einfach. Nachdem Leesha inzwischen bei den meisten schwangeren Frauen als Hebamme fungiert hatte und für die Hälfte der übrigen, die keine Kinder bekamen, Tees aus Pomeranzenblättern braute, begegnete man ihr mit ausgesuchter Höflichkeit und weihte sie ohne Bedenken in sämtliche körperlichen Probleme ein.
    Trotzdem blieb sie eine Außenseiterin. Die Frauen redeten, als sei sie unsichtbar, plapperten selbst die intimsten Geheimnisse der Dörfler so ungeniert aus, als sei sie irgendein unbeseelter Gegenstand, wie ein Kopfkissen zum Beispiel.
    »Und genau das bist du auch, eine Art Unperson«, erwiderte Bruna, als Leesha sich einmal über diese vermeintliche Missachtung beklagte. »Die Lebensführung dieser Leute geht dich nichts an, du hast dich ausschließlich um ihre Gesundheit zu kümmern. Es steht dir nicht zu, über diese Menschen ein Urteil zu fällen. Sobald du die Schürze mit den vielen Taschen umbindest, verpflichtest du dich zum Stillschweigen, egal, was du hörst. Eine Kräutersammlerin braucht Vertrauen, um wirkungsvoll arbeiten zu können, und Vertrauen muss man sich erst verdienen. Kein Geheimnis, das du erfährst, darf je über deine Lippen kommen, es sei denn, durch dein Schweigen gefährdest du das Wohl anderer Menschen.«
    Also hielt Leesha den Mund, und die Frauen vertrauten ihr. Nachdem sie zuerst den weiblichen Teil der Bevölkerung auf ihre Seite gezogen hatte,

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