Das Lied der Dunkelheit
noch ein bisschen Schmerzbalsam angerührt«, teilte sie Yon mit. »Steck den Krug ein, dann brauche ich nicht extra bei dir vorbeizukommen und habe mir einen Weg gespart.«
Der Alte setzte ein verwegenes Grinsen auf. »Du darfst jederzeit bei mir hereinschauen und mich mit der Salbe einreiben«, schlug er ihr augenzwinkernd vor.
Leesha versuchte, ernst zu bleiben, doch es gelang ihr nicht. Yon war ein alter Lüstling, aber sie mochte ihn sehr gern. Das Zusammenleben mit Bruna hatte sie gelehrt, dass man sich mit den Schrullen, die sich manche der Alten leisteten, wunderbar abfinden konnte, wenn man im Gegenzug die Gelegenheit bekam, auf das in einem langen Menschenleben angesammelte Wissen zurückgreifen zu können.
»Ich fürchte, du wirst den Balsam selbst in deine Gelenke einmassieren müssen«, entgegnete sie.
»Pah!« In gespielter Entrüstung schwenkte Yon seinen Stock. »Aber du kannst ja noch mal darüber nachdenken«, fuhr er fort. »Bei mir bist du immer ein gern gesehener Gast.« Ehe er sich verabschiedete, fasste er Marick ins Auge und nickte ihm respektvoll zu. »Willkommen, Kurier!«
Marick erwiderte das Nicken, und der Alte trollte sich.
Auf dem Markt wurde Leesha von allen Seiten freundlich begrüßt, und immer wieder blieb sie stehen, um sich nach dem Befinden gewisser Leute zu erkundigen. Selbst während ihrer Einkäufe war sie als Heilerin im Einsatz.
Obwohl sie und Bruna durch den Verkauf von Zündhölzern und ähnlicher Artikel viel Geld verdienten, wollte keiner der Händler auf dem Markt für seine Waren auch nur einen einzigen Klat von ihr annehmen. Für die Behandlung von Kranken verlangte Bruna keinen Lohn, und deshalb bekam
sie wiederum alles umsonst, was sie von den Leuten brauchte.
In beschützender Pose hielt Marick sich stets dicht an Leeshas Seite auf, während sie mit geübter Hand die Qualität von Obst und Gemüse prüfte. Der Kurier wurde ausgiebig angestarrt, und der Grund für diese übermäßige Neugier konnte nur die Tatsache sein, dass er Leesha begleitete, und nicht, weil er auf dem Markt ein Fremder war. Denn im Tal der Holzfäller galt ein Kurier nicht als eine so seltene Erscheinung.
Sie fing einen Blick von Keet auf - Stefnys Sohn, wenn schon nicht Smitts ureigenster Nachwuchs. Der Junge war fast elf, und seine Ähnlichkeit mit dem Fürsorger Michel trat immer deutlicher zutage. All die Jahre hatte sich Stefny an die Abmachung gehalten und nie wieder schlecht über Leesha geredet, seit diese bei Bruna in die Lehre ging. Bei der alten Kräutersammlerin war Stefnys und Fürsorger Michels Geheimnis gut aufgehoben, aber Leesha fand es unbegreiflich, dass Smitt so blind sein konnte, wenn ihm jedes Mal, wenn er seinem Sohn beim Abendessen gegenübersaß, die Wahrheit ins Gesicht starrte.
Sie winkte den Jungen zu sich, und Keet kam angerannt. »Bring diese Tasche zu Bruna, sobald du die Zeit dazu findest«, bat sie ihn und händigte ihm ihre Einkäufe aus. Dann schenkte sie ihm ein verschwörerisches Lächeln und drückte ihm einen Klat in die Hand.
Keet grinste von einem Ohr zum anderen, so sehr freute er sich über das Geschenk. Kein Erwachsener nahm jemals Geld von einer Kräutersammlerin an, aber wenn Kinder ihr halfen, steckte Leesha ihnen immer etwas zu. Die lackierten Holzmünzen aus Angiers galten im Tal der Holzfäller als die Hauptwährung, und wenn der nächste Kurier den Ort aufsuchte, konnten
Keet und seine Geschwister sich damit Rizonische Süßigkeiten kaufen.
Gerade als sie den Markt verlassen wollte, entdeckte sie Mairy und ging zu ihr, um sie zu begrüßen. In den letzten Jahren war ihre Freundin sehr fleißig gewesen; nun klammerten sich drei Kinder an ihre Röcke. Ein junger Glasbläser namens Benn hatte Angiers den Rücken gekehrt, um sein Glück in Lakton oder Fort Rizon zu suchen. Im Tal der Holzfäller machte er Station, in der Hoffnung, mit seinem Handwerk ein paar Klats zu verdienen, ehe er die nächste Etappe seiner Reise in Angriff nahm; doch dann lernte er Mairy kennen, und seine ursprünglichen Pläne lösten sich auf wie Zucker in heißem Tee.
Derzeit übte Benn sein Gewerbe in der Scheune seines Schwiegervaters aus, und der Handel florierte. Von Kurieren aus Fort Krasia kaufte er Säcke voller Sand, den er in Objekte verwandelte, die nicht nur praktisch, sondern obendrein wunderschön waren. Noch nie hatte es im Tal der Holzfäller einen Glasbläser gegeben, und jeder wollte irgendein Stück aus diesem edlen Material besitzen.
Auch
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