Das Lied der Dunkelheit
die Miete.«
»Wenn wir heute nicht zahlen, wird Meister Keven uns rausschmeißen. Das hat er klipp und klar gesagt«, betonte Rojer.
»Also geben wir unsere Vorstellung«, ächzte Arrick und quälte sich in die Höhe. Er verlor das Gleichgewicht und versuchte, sich am Stuhl abzustützen, doch dadurch erreichte er nur, dass das Sitzmöbel auf ihn kippte, als er selbst krachend zu Boden ging.
Rojer wollte ihm beim Aufstehen helfen, aber Arrick stieß ihn weg. »Ich brauche keine Hilfe!«, schnauzte er in einem Ton, der keine Widerrede duldete, während er sich wankend auf die Füße rappelte. »Es geht mir so gut, dass ich glatt einen Salto rückwärts machen könnte«, behauptete er. »Warte, ich zeig’s dir!« Er spähte hinter sich, um zu sehen, ob der freie Raum ausreichte. Seine Mimik verriet jedoch, dass er seine Aufschneiderei bereits bereute.
»Spar dir das lieber für die Vorstellung auf«, warf Rojer hastig ein.
Arrick wandte sich wieder ihm zu. »Wahrscheinlich hast du Recht«, stimmte er zu, und beide waren erleichtert.
»Meine Kehle ist staubtrocken«, erklärte Arrick. »Ehe ich singe, muss ich einen Schluck trinken.«
Rojer nickte und beeilte sich, einen Holzbecher mit Wasser aus dem Krug zu füllen.
»Doch kein Wasser!«, schimpfte Arrick gereizt. »Bring mir Wein. Ich brauche eine Kralle von dem Dämon, der mich letzte Nacht bezwungen hat.«
»Wir haben keinen Wein mehr«, entgegnete Rojer.
»Dann lauf los und besorge mir welchen«, befahl Arrick. Er torkelte zu seiner Geldkatze, stolperte dabei über seine eigenen
Füße und konnte sich nur mit Mühe aufrecht halten. Rojer flitzte zu ihm, um ihn zu stützen.
Arrick fummelte eine Weile mit den Schnüren herum, dann hob er die Börse hoch und pfefferte sie auf das Brett zurück, auf dem sie gelegen hatte. Man hörte nichts, als der Stoff aufprallte, und Arrick stieß ein zorniges Knurren aus.
»Kein einziger Klat!«, brüllte er verärgert und schmiss die Börse quer durch den Raum. Durch den Schwung verlor er die Balance, und in dem Versuch, sich wieder zu fangen, drehte er sich einmal um die eigene Achse, ehe er mit einem dumpfen Knall auf den Dielen landete.
Als Rojer bei ihm war, hatte er sich bereits wieder auf Hände und Knie aufgerichtet, doch er musste sich übergeben und erbrach einen Schwall aus Wein und Galle über den ganzen Fußboden. Er ballte die Fäuste, und sein Körper fing an zu zucken; Rojer dachte, er würde noch mehr von seinem Mageninhalt hochwürgen, doch nach einer Weile merkte er, dass sein Meister schluchzte.
»Als ich noch für den Herzog gearbeitet habe, ging es mir nie so schlecht«, stöhnte Arrick. »Damals hatte ich die Taschen voller Geld.«
Aber auch nur, weil der Herzog deinen Wein bezahlte, ergänzte Rojer in Gedanken. Allerdings war er klug genug, es nicht laut auszusprechen. Arrick darauf hinzuweisen, dass er zu viel trank, führte jedes Mal unweigerlich zu einem Wutanfall.
Er säuberte seinen Meister und schleppte den massigen Mann zu dessen Matratze. Nachdem Arrick auf dem Stroh eingeschlafen war, nahm Rojer einen Lappen und wischte den Boden auf. Heute würde es keine Vorstellung geben.
Währenddessen fragte er sich, ob Meister Keven sie wirklich auf die Straße setzen würde, und wo sie unterkommen sollten,
wenn ihr Gastwirt keine Gnade kannte. Der mit Siegeln versehene Wall, der Angiers schützte, galt als sehr zuverlässig, aber in dem die Stadt überspannenden Netz gab es Lücken, und gelegentlich hatte man Winddämonen gesichtet. Die Vorstellung, eine Nacht draußen im Freien verbringen zu müssen, flößte dem Jungen einen maßlosen Schrecken ein.
Er musterte ihre spärlichen Besitztümer und überlegte, ob er irgendein Teil verkaufen konnte. Als ihre finanzielle Lage sich verschlechterte, hatte Arrick Gerals Streitross und den Schild verscherbelt, aber den tragbaren Bannzirkel des Kuriers besaßen sie immer noch. Er war eine Menge wert, aber Rojer wagte es nicht, ihn zu versetzen. Das Geld, das sie für ihn bekämen, würde Arrick ohnehin nur in Wein umsetzen oder beim Glücksspiel verlieren, und sollten sie tatsächlich einmal kein Dach mehr über dem Kopf haben, hätten sie überhaupt nichts mehr, um sich zu schützen.
Auch Rojer trauerte den Zeiten nach, als Arrick noch für den Herzog gearbeitet hatte. Rhinebecks Huren liebten Arrick, und Rojer hatten sie behandelt, als sei er ihr eigenes Kind. Täglich wurde er gegen ein Dutzend parfümierte Busen gedrückt und mit Süßigkeiten
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