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Das Lied der Dunkelheit

Das Lied der Dunkelheit

Titel: Das Lied der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
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verwöhnt; die Damen hatten ihm beigebracht, ihnen zu helfen, wenn sie sich schminkten und aufputzten. Damals hatte er seinen Meister nicht so häufig gesehen; Arrick ließ ihn oftmals in dem Bordell zurück, wenn er über die Dörfer zog und mit seiner wunderschönen Stimme weit und breit die herzoglichen Erlasse verkündete.
    Aber der Herzog war nicht besonders angetan, als er eines nachts, angetrunken und geil wie ein Bock, in das Gemach seiner Lieblingshure wankte und in deren Bett einen schlummernden Knaben vorfand. Er verlangte, dass Rojer verschwand, und bei der Gelegenheit trennte er sich auch von Arrick. Rojer
wusste, dass es seine Schuld war, dass sie nun in derart erbärmlichen Umständen lebten. Arrick, so wie auch seine Eltern, hatten alles geopfert, nur um ihm zu helfen.
    Für seine Eltern konnte Rojer nichts mehr tun, aber wenigstens Arrick konnte er seine Dankbarkeit beweisen.

    Rojer rannte, was das Zeug hielt, und hoffte, die Zuschauer seien noch da. Auch jetzt noch kamen viele Leute, um die »Honigstimme« zu hören, wenn ein Auftritt von Arrick angekündigt war, aber ewig würden sie auch nicht warten.
    Über der Schulter schleppte er Arricks »Magische Tasche«. Genau wie ihre Kleidung bestand auch diese Tasche aus lauter bunten Flicken, dem Berufsabzeichen der Jongleure. Sie enthielt die Utensilien, die ein Jongleur zum Ausüben seiner Kunst brauchte. Rojer hatte gelernt, mit sämtlichen Gegenständen umzugehen, bis auf die farbigen Jonglierkugeln.
    Seine bloßen, schwieligen Füße klatschten auf die Bodenbretter. Rojer besaß Stiefel und Handschuhe, die zu seiner farbenfrohen Kleidung passten, aber er hatte sie zurückgelassen. Barfuß fand er auf den Holzplanken einen festeren Halt als in seinen bunt gescheckten Stiefeln mit den abgewetzten Sohlen und den Glocken an den Spitzen; und die Handschuhe hasste er regelrecht.
    Arrick hatte den Zeige- und Mittelfinger des rechten Handschuhs mit Wolle ausgestopft, um Rojers fehlende Finger zu vertuschen. Dünne Fäden verbanden die künstlichen Finger mit den natürlichen, sodass sie sich miteinander bewegten. Es war ein raffinierter Trick, aber Rojer schämte sich jedes Mal, wenn er das hinderliche Ding über seine verkrüppelte Hand
streifte. Arrick bestand darauf, dass er die Handschuhe trug, aber sein Meister konnte ihn nicht wegen etwas schlagen, von dem er nichts wusste.
    Eine murrende Menge wanderte planlos über den Kleinen Platz, als Rojer eintraf; es waren ungefähr zwanzig Leute, darunter ein paar Kinder. Rojer konnte sich noch an eine Zeit erinnern, als die Ankündigung, Arrick Honigstimme würde auftreten, Hunderte von Einwohnern aus allen Ecken und Enden der Stadt herbeigelockt hatte, und manche kamen selbst aus nahe gelegenen Dörfern angereist. Damals sang er im Tempel des Schöpfers oder im herzoglichen Amphitheater. Nun jedoch war der Kleine Platz der beste Ort für einen Auftritt, den die Gilde ihnen zugestand, und nicht einmal den konnte er füllen.
    Aber wenig Geld war immer noch besser als gar keines. Selbst wenn lediglich ein Dutzend Leute Rojer je einen Klat spendeten, würde dies für eine weitere Nacht in Meister Kevens Haus reichen, solange die Jongleurgilde ihn nicht dabei erwischte, wie er ohne seinen Meister eine Vorstellung gab. Falls das passierte, wäre die überfällige Miete das geringste ihrer Probleme.
    Mit einem fröhlichen Ausruf tanzte er durch die Menge und warf aus der Tasche ganze Hände voll gefärbten Flügelsamen in die Luft. Die Samenschoten schwebten und wirbelten hinter ihm her wie eine flatternde, grellbunte Fahne.
    »Arricks Lehrling!«, brüllte einer der ungeduldig wartenden Zuschauer. »Die Honigstimme kommt also doch noch!«
    Es gab Applaus, und Rojer spürte, wie sich ihm der Magen umdrehte. Am liebsten hätte er die Wahrheit gesagt, aber Arricks erste Regel für jeden Jongleurauftritt lautete, niemals etwas zu sagen oder zu tun, was die gute Laune des Publikums dämpfen konnte.

    Drei Stufen führten auf die Bühne, die zu einer Seite des Kleinen Platzes aufgebaut war. Eine muschelförmige Rückwand diente dazu, den Schall zu verstärken und die Künstler vor den Härten des Wetters zu schützen. In das Holz waren Siegel eingeritzt, doch sie waren alt und die Farbe war verblasst. Rojer fragte sich, ob sie ihm und seinem Meister Schutz bieten konnten, sollten sie in der kommenden Nacht kein Obdach mehr haben.
    Er sauste die kleine Treppe hinauf, turnte auf Händen über die Bühne und warf mit

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