Das Lied der Dunkelheit
verliiiiebt!« Die anderen Mädchen, die mithörten, fingen ausgelassen an zu kichern.
»Ich finde ihn niedlich«, warf Roni ein.
»Du findest jeden niedlich«, erwiderte Leesha. Roni erblühte gerade erst zur Frau und war vernarrt in Jungen. »Hoffentlich entwickelst du mehr Geschmack, als dich in einen Mann zu vergucken, der dich darum bittet, ihn zu waschen.«
»Setz ihr bloß keine Flausen in den Kopf«, mahnte Jizell. »Wenn Roni nur dürfte, würde sie jeden Mann im Hospital waschen.« Die Mädchen brachen wieder in übermütiges Gekicher aus, und nicht einmal Roni widersprach.
»Genug jetzt! Weg mit euch, ihr Kichererbsen!« Jizell lachte. »Ich will mit Leesha sprechen.«
»Die meisten Männer, die hierherkommen, machen dir schöne Augen«, begann Jizell, als sie allein waren. »Es würde dich
nicht umbringen, wenn du dich mal mit einem über etwas anderes unterhältst als über sein gesundheitliches Befinden.«
»Du redest schon genauso wie meine Mutter«, entgegnete Leesha.
Jizell knallte den Stößel auf den Tisch. »Das ist nicht wahr!«, verteidigte sie sich. Im Laufe der Jahre hatte sie alles über Elona erfahren. »Ich will nur nicht, dass du aus Trotz als alte Jungfer endest, nur um sie zu ärgern. Es ist kein Verbrechen, wenn man Männer mag.«
»Aber ich mag Männer«, protestierte Leesha.
»Davon habe ich noch nichts gemerkt.«
»Hätte ich mich denn darum reißen sollen, Skot zu waschen?«, begehrte Leesha auf.
»Das sicher nicht«, räumte Jizell ein. »Jedenfalls nicht vor allen anderen«, legte sie augenzwinkernd nach.
»Jetzt klingst du wie Bruna«, stöhnte Leesha. »Mit vulgären Bemerkungen allein erobert man nicht mein Herz.« Vorschläge wie die von Skot waren für Leesha nichts Neues. Sie hatte die gleiche üppige Figur wie ihre Mutter, und dadurch zog sie die Blicke vieler Männer auf sich, ob es ihr nun angenehm war oder nicht.
»Womit dann?«, fragte Jizell. »Welcher Mann könnte die Siegel deines Herzens passieren?«
»Ein Mann, dem ich vertrauen kann«, antwortete Leesha. »Dem ich einen Kuss auf die Wange geben kann, ohne dass er gleich am nächsten Tag vor seinen Freunden damit prahlt, er hätte mich hinter der Scheune genommen.«
Jizell schnaubte durch die Nase. »Eher findest du einen freundlichen Horcling.«
Leesha zuckte die Achseln.
»Ich glaube, du hast Angst«, hielt Jizell ihr vor. »Du hast so lange damit gewartet, deine Jungfräulichkeit zu verlieren, dass
du etwas ganz Einfaches, Natürliches, das sich jedes Mädchen wünscht, ablehnst.«
»Das ist lächerlich«, wehrte sich Leesha.
»Wirklich? Ich habe dich beobachtet, wenn Frauen kommen und dich um Rat in Bettangelegenheiten fragen. Du läufst rot an und schwafelst wild drauflos. Wie kannst du andere Menschen in solchen intimen Dingen beraten, wenn du sie selbst nie kennengelernt hast?«
»Ich bin mir ganz sicher, dass ich weiß, was sich zwischen Mann und Frau abspielt«, versetzte Leesha trocken.
»Du weißt genau, was ich meine«, entgegnete Jizell.
»Und was soll ich deiner Ansicht nach tun, um im Bett Erfahrung zu sammeln?«, fragte Leesha in provozierendem Ton. »Mich dem erstbesten Mann hingeben, nur damit ich es endlich hinter mich bringe?«
»Warum nicht?«, entgegnete Jizell lakonisch.
Leesha funkelte sie wütend an, aber Jizell hielt dem Blick stand, ohne mit der Wimper zu zucken. »Du hast dir deine Jungfräulichkeit so lange aufgespart, dass es deiner Meinung nach überhaupt keinen Mann mehr geben kann, der es wert ist, dich zu besitzen. Aber was nützt dir deine Reinheit? Was für einen Sinn hat eine Blume, die so gut versteckt wird, dass niemand sie sieht? Wer wird sich an ihre Schönheit erinnern, wenn sie eines Tages verwelkt?«
Leesha fing an zu schluchzen; im nächsten Moment war Jizell bei ihr und hielt das weinende Mädchen in den Armen. »Ist ja gut, ist ja gut, mein Herzblatt«, tröstete sie und strich Leesha über das Haar. »So schlimm ist es nun auch wieder nicht.«
Nach dem Abendessen, als die Siegel geprüft waren und man die Schülerinnen zum Studieren wegschickte, fanden Leesha und Jizell endlich die Zeit, sich eine Kanne Kräutertee aufzubrühen und die Tasche zu öffnen, die ihnen ein Kurier am Morgen gebracht hatte. Auf dem Tisch stand eine Lampe voller Öl und mit einem getrimmten Docht, damit sie lange brennen konnte.
»Den ganzen Tag lang beschäftigen wir uns mit den Patienten, und in der Nacht lesen wir die Briefe.« Jizell seufzte. »Wie gut, dass
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