Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Lied der Dunkelheit

Das Lied der Dunkelheit

Titel: Das Lied der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
Vom Netzwerk:
verstummte. Die Attacke lag nun länger als einen Mond zurück, doch er weigerte sich noch immer, über den Vorfall zu sprechen, selbst wenn der Wächter ihn hart bedrängte. Seine wenigen Besitztümer hatte er abholen lassen, doch soweit sie wusste, hatte er nicht einmal Verbindung mit der Jongleurgilde aufgenommen, um die Angelegenheit zu melden.
    »Es war nicht deine Schuld«, bemerkte Leesha, als sie sah, dass seine Augen wieder diesen abwesenden Blick bekamen. »Du hast Jaycob nicht umgebracht.«
    »Aber so gut wie«, behauptete er.
    »Wie meinst du das?«, hakte Leesha nach.
    Rojer wandte sein Gesicht ab. »Nun ich … ich habe ihn dazu überredet, seinen Ruhestand aufzugeben und mir zu helfen. Er wäre immer noch am Leben, wenn ich nicht …«
    »Aber du sagtest doch, er hätte dir erzählt, diese Auftritte mit dir seien das Beste, was ihm seit zwanzig Jahren passiert sei«, widersprach Leesha. »Es scheint, als hätte er in dieser kurzen
Zeit mehr von seinem Leben gehabt, als es der Fall gewesen wäre, wenn er noch viele Jahre in diesem Kämmerlein im Gildehaus gehockt hätte.«
    Rojer nickte, doch seine Augen wurden feucht. Leesha drückte seine Hand. »Kräutersammlerinnen bekommen es oft mit dem Tod zu tun«, erzählte sie ihm. »Niemand, wirklich niemand, geht zum Schöpfer und hat alle seine Angelegenheiten geregelt. Die Lebensspannen der einzelnen Menschen sind sehr verschieden, aber jedem muss die Zeit genügen, die ihm vergönnt ist, egal, ob sie nun lang oder kurz war.«
    »Es scheint nur so, als ob alle, die meinen Weg kreuzen, nicht mehr lange zu leben haben«, seufzte Rojer.
    »Ich habe viele Menschen gekannt, die jung gestorben sind und noch nie von einem Rojer Achtfinger gehört hatten«, erklärte Leesha. »Willst du auch für deren Tod die Verantwortung übernehmen?«
    Rojer sah sie an, und sie schob ihm die nächste volle Gabel in den Mund. »Den Toten nützt es nichts, wenn du vor lauter Schuldgefühlen selbst aufhörst zu leben«, stellte sie fest.

    Leesha hatte die Hände voll Leinentücher, als der Kurier eintraf. Vikas Brief steckte sie in ihre Schürze, die restliche Korrespondenz hob sie sich für später auf. Sie räumte die Wäsche fertig ein, doch dann kam ein Mädchen zu ihr gerannt, um ihr zu erzählen, ein Patient hätte Blut gehustet. Nachdem sie sich um den Mann gekümmert hatte, musste sie einen gebrochenen Arm schienen und den Schülerinnen Unterricht erteilen.
    Ehe sie sich versah, war die Sonne untergegangen, und die Mädchen lagen alle in ihren Betten. Sie drehte die Lampendochte
herunter, bis das Licht in einem matten Orangerot schimmerte, dann machte sie einen letzten Rundgang durch den Krankensaal, um sich davon zu überzeugen, dass es den Patienten an nichts fehlte. Erst danach zog sie sich für die Nacht in die obere Etage zurück. Als sie an Rojer vorbeiging, begegneten sich ihre Blicke, und er winkte sie zu sich, aber sie lächelte und schüttelte den Kopf. Sie zeigte mit dem Finger auf ihn, dann legte sie die Hände wie zum Gebet zusammen, schmiegte ihre Wange darauf und schloss die Augen.
    Rojer runzelte die Stirn, doch sie zwinkerte ihm zu und ging weiter, wohl wissend, dass er ihr nicht folgen würde. Die Schienen hatte man ihm abgenommen, aber er klagte noch über Schwäche und Schmerzen in den Beinen, obwohl die Brüche sauber verheilt waren.
    Am Ende des Saales angelangt, nahm sie sich die Zeit, um sich einen Becher Wasser einzugießen. Es war eine warme Frühlingsnacht, und der Krug war feucht beschlagen. In einer mechanischen Geste wischte sie sich die Hand an der Schürze ab, um sie zu trocknen, und dabei ertastete sie zerknittertes Papier. Ihr fiel Vikas Brief wieder ein. Sie zog ihn heraus, brach mit dem Fingernagel das Wachssiegel auf und hielt das Blatt schräg gegen die Lampe, während sie einen Schluck Wasser trank.
    Im nächsten Moment ließ sie den Becher fallen. Sie merkte es nicht einmal, und sie hörte auch nicht, wie das Tongefäß zerschellte. Den Brief fest mit der Hand umklammernd, flüchtete sie aus dem Saal.

    Leesha schluchzte leise in der dunklen Küche, als Rojer sie fand.

    »Was ist los?«, fragte er leise, während er sich schwer auf seinen Stock stützte.
    »Rojer?« Sie zog die Nase hoch. »Wieso liegst du nicht im Bett?«
    Rojer gab keine Antwort, sondern setzte sich neben sie. »Schlechte Nachrichten von zu Hause?«
    Leesha sah ihn eine Weile an, dann nickte sie. »Erinnerst du dich noch, dass ich dir erzählte, mein Vater

Weitere Kostenlose Bücher