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Das Lied der Dunkelheit

Das Lied der Dunkelheit

Titel: Das Lied der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
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letzte Mal Musik gehört habe.«
    »Ich würde ja gern«, entgegnete Rojer traurig, »aber die Banditen haben meinen Bogen mit Fußtritten in den Wald befördert.«
    Der Mann nickte und saß eine Zeit lang in Gedanken versunken da. Plötzlich sprang er auf und holte ein großes Messer hervor. Rojer wich zurück, aber der Mann verließ nur den Zirkel. Ein Baumdämon begrüßte ihn mit einem wütenden Zischen, aber der Tätowierte Mann zischte bloß zurück und verscheuchte den Horcling.
    Nicht lange, und er kam mit einem biegsamen Zweig zurück, dessen Rinde er mit dem gefährlich aussehenden Messer abschälte. »Wie lang war der Bogen?«, erkundigte er sich.
    »A-achtzehn Zoll«, stammelte Rojer.
    Der Tätowierte Mann nickte, kappte den Zweig auf die erforderliche Länge und ging damit zu seinem Pferd. Der Hengst rührte sich nicht, als er ein paar Haare von seinem Schweif abschnitt. Er kerbte das Holz ein und befestigte eine flache, dicke Rosshaarsträhne an einer Seite. Dann kniete er neben Rojer und bog den Zweig durch. »Sag mir, wenn die Spannung richtig ist«, forderte er Rojer auf, der die Finger seiner verkrüppelten Hand auf das Haar legte. Als er zufrieden war, band der Tätowierte Mann das andere Ende der Strähne am Bogen fest und reichte Rojer sein Werk.

    Strahlend betrachtete Rojer das Geschenk und rieb es mit Wachs ein, ehe er die Fiedel in die Hand nahm. Er legte das Instrument an sein Kinn und vollführte ein paar Streiche mit dem neuen Bogen. Er war nicht ideal, aber seine Zuversicht wuchs, und er hielt nur ein einziges Mal inne, um nachzustimmen, ehe er zu spielen anfing.
    Seine geschickten Finger füllten die Luft mit einer Melodie, die unter die Haut ging. Sie entführte Leeshas Gedanken ins Tal der Holzfäller, und sie fragte sich, wie es den Menschen dort mittlerweile gehen mochte. Seit sie Vikas Brief bekommen hatte, war fast eine Woche vergangen. Was würde sie bei ihrer Ankunft im Dorf vorfinden? Vielleicht hatte sich die Krankheit ausgetobt, ohne ein weiteres Opfer zu fordern, und diese ganze Quälerei war umsonst gewesen.
    Genauso gut konnte es sein, dass man ihre Hilfe dringender brauchte denn je.
    Sie bemerkte, dass die Musik auch auf den Tätowierten Mann wirkte, denn er hatte seine akribische Arbeit aufgegeben und starrte mit abwesendem Blick in die Nacht hinaus. Sein Gesicht lag im Schatten, sodass man die Tätowierungen nicht sah, und trotz seiner traurigen Miene erkannte sie, dass er einmal sehr hübsch gewesen sein musste. Welcher Schmerz hatte ihn in diese Existenz getrieben, ihn veranlasst, sich selbst zu verunstalten und die Gesellschaft von Menschen gegen den Umgang mit Horclingen einzutauschen? Sie hätte ihm gern geholfen, obwohl er sich nicht zu grämen schien.
    Plötzlich schüttelte der Mann den Kopf, als wolle er seine Gedanken klären, und riss Leesha aus ihren Betrachtungen. Mit einer Handbewegung zeigte er in die Dunkelheit. »Sieh nur«, flüsterte er. »Sie tanzen.«
    Erstaunt blickte Leesha in die angegebene Richtung, und tatsächlich, die Horclinge hatten aufgehört, die Siegel anzugreifen,
sogar ihr Fauchen und Kreischen war verstummt. Stattdessen wiegten sie sich im Rhythmus der Musik, während sie das Lager umkreisten. Flammendämonen vollführten Sprünge und Pirouetten, spuckten dabei Bänder aus Feuer, die sich um ihre knotigen Körper ringelten, und in der Luft zeigten Winddämonen ihre Segelkunststücke. Die Musik hatte Baumdämonen aus ihren Verstecken im Wald gelockt, ohne dass sie von den Flammendämonen Notiz nahmen.
    Der Tätowierte Mann wandte sich an Rojer. »Wie machst du das?«, fragte er mit ehrfürchtiger Stimme.
    Rojer lächelte. »Die Horclinge haben ein Ohr für Musik«, erwiderte er. Er stand auf und trat an den Rand des Kreises. Dort versammelten sich die Dämonen und blickten ihn gespannt an. Ohne sein Spiel zu unterbrechen, schritt Rojer innen um den Zirkel herum, und die Horclinge folgten ihm, als stünden sie unter einem Bann. Als er stehenblieb und im Takt der Melodie wippte, ahmten die Dämonen jede seiner Bewegungen beinahe exakt nach.
    »Und ich dachte, du lügst«, entschuldigte sich Leesha leise. »Dabei kannst du sie wirklich verhexen.«
    »Und das ist noch nicht alles!«, prahlte Rojer. Mit ein paar scharfen Bogenstrichen erzeugte er eine Reihe von falschen Tönen, und die vorher so süße, klare Melodie verwandelte sich in ein hässliches, unharmonisches Krächzen. Sofort fingen die Horclinge wieder an zu kreischen, hielten

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