Das Lied der Dunkelheit
Achseln. »Du aber auch. Mehr, als ich je haben werde.«
»Kannst du mich unterrichten?«, fragte der Tätowierte Mann.
Rojer drehte den Kopf und begegnete seinem stechenden Blick. »Warum willst du das lernen? Du tötest Dämonen dutzendweise. Was ist mein Können verglichen mit deinem?«
»Ich dachte, ich würde meine Feinde kennen«, erwiderte der Mann. »Aber du hast mich eines Besseren belehrt.«
»Glaubst du, so schlecht können sie gar nicht sein, wenn sie Musik lieben?«, wollte Rojer wissen.
Der Mann schüttelte den Kopf. »Die Horclinge genießen deine Kunst nicht, Jongleur. In dem Augenblick, in dem du aufhörst zu spielen, würden sie dich ohne zu zögern umbringen.«
Rojer nickte bestätigend. »Wozu willst du dir dann überhaupt die Mühe machen?«, hakte er nach. »Ist es nicht sehr
umständlich, Fiedeln zu lernen, um die Dämonen in Schach zu halten, wenn es dir doch so leicht fällt, sie zu töten?«
Die Züge des Mannes verhärteten sich. »Gibst du mir nun Unterricht, oder nicht?«
»Ja, sicher …«, antwortete Rojer gedehnt, während er nachdachte. »Aber ich verlange eine Gegenleistung.«
»Ich habe jede Menge Geld«, versicherte ihm der Mann.
Rojer winkte ab. »Wenn ich Geld brauche, kann ich mir immer etwas verdienen. Ich will etwas viel Wertvolleres.«
Der Tätowierte Mann erwiderte nichts darauf.
»Ich möchte mit dir zusammen reisen«, platzte Rojer heraus.
Der Mann schüttelte den Kopf. »Das kommt gar nicht in Frage.«
»Über Nacht lernst du nicht, auf der Fiedel zu spielen«, argumentierte Rojer. »Es dauert Wochen, bis du ein paar halbwegs passable Töne erzeugst, und das genügt nicht, um selbst den unmusikalischsten Horcling zu beeindrucken.«
»Und was versprichst du dir davon, wenn du mich begleitest?«
»Stoff für Geschichten, die Nacht für Nacht das Amphitheater des Herzogs füllen«, erklärte Rojer.
»Und was ist mit ihr?« Mit einem Kopfnicken deutete der Tätowierte Mann auf Leesha. Rojer betrachtete die Kräutersammlerin, deren Busen sich im Schlaf sanft hob und senkte, und dem Mann entging nicht die Bedeutung dieses Blicks.
»Sie bat mich, sie in ihr Dorf zu bringen, weiter nichts«, antwortete Rojer schließlich.
»Und wenn sie dich bittet zu bleiben?«
»Das wird sie nicht tun«, erwiderte Rojer ruhig.
»Meine Reisen sind keine Marko-Herumtreiber-Geschichten, Junge«, erklärte der Mann. »Ich kann mich nicht von jemandem aufhalten lassen, der sich nachts versteckt.«
»Jetzt habe ich ja meine Fiedel«, betonte Rojer mit gespielter Beherztheit. »Ich habe keine Angst.«
»Mut allein genügt nicht«, erklärte der Mann. »In der Wildnis muss man töten, oder man wird getötet. Und ich spreche nicht nur von Dämonen.«
Rojer straffte die Schultern und schluckte den Kloß in seiner Kehle herunter. »Jeder, der versucht, mich zu beschützen, findet dabei den Tod«, erklärte er. »Es wird höchste Zeit, dass ich lerne, auf mich selbst aufzupassen.«
Der Tätowierte Mann lehnte sich zurück und betrachtete nachdenklich den jungen Jongleur.
»Komm mit mir«, sagte er dann und stand auf.
»Du verlässt den Zirkel?«, wunderte sich Rojer.
»Wenn du dich dazu nicht überwinden kannst, dann bist du mir nicht von Nutzen«, entgegnete der Tätowierte Mann. Als Rojer sich zweifelnd umsah, fügte er hinzu: »Jeder Horcling im Umkreis von mehreren Meilen hat erfahren, was ich mit seinen Artgenossen angestellt habe. Ich glaube nicht, dass wir heute Nacht noch welchen begegnen werden.«
»Und wir sollen Leesha allein lassen?«, fragte Rojer, stand aber langsam auf.
»Notfalls wird Schattentänzer sie beschützen. Komm mit.« Der Mann trat aus dem Zirkel und marschierte in die Nacht.
Rojer fluchte, aber er griff nach seiner Fiedel und folgte dem Mann die Straße hinunter.
Während sie durch den Wald schlichen, hielt Rojer seinen Fiedelkasten fest umklammert. Er hatte das Instrument bereits
herausgenommen, doch der Tätowierte Mann gab ihm einen Wink, er solle es wieder in den Kasten stecken.
»Du wirst nur unliebsame Aufmerksamkeit erregen«, flüsterte er.
»Sagtest du nicht, heute Nacht würden wir höchstwahrscheinlich keinen Horclingen mehr begegnen?«, zischte Rojer, doch der Tätowierte Mann achtete nicht auf ihn, sondern bewegte sich so sicher durch die Finsternis, als sei es helllichter Tag.
»Wohin gehen wir?«, wisperte Rojer vielleicht zum hundertsten Mal.
Sie stiegen auf eine kleine Anhöhe; auf der Kuppe legte sich der Tätowierte Mann
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