Das Lied der Dunkelheit
Waldes herankrochen, hoch erfreut, sich früher als sonst aus dem Horc stehlen zu können. Der flackernde Schein der Blitze fiel auf ihre sehnigen Leiber, während sie ausgelassen im Regen herumtollten.
Sie versuchten, in die Höhle einzudringen, doch die Siegel gaben nicht nach. Die Dämonen, die sich zu nahe heranwagten, bereuten ihren Vorstoß bitter, wenn der finster dreinblickende Tätowierte Mann sie mit einem Speerstoß begrüßte.
»Warum bist du so wütend?«, fragte Leesha. Während sie Schalen und Löffel aus ihrem Gepäck holte, mühte sich Rojer ab, ein kleines Feuer anzuzünden.
»Es ist schon schlimm genug, wenn sie nachts kommen«, knurrte der Mann. »Sie haben kein Recht, auch noch den Tag zu verpesten!«
Leesha schüttelte den Kopf. »Du wärst vielleicht glücklicher, wenn du die Dinge akzeptierst, wie sie sind.«
»Ich will gar nicht glücklich sein«, gab er zurück.
»Jeder Mensch will glücklich sein«, spottete sie. »Wo ist der Kochtopf?«
»In meiner Tasche«, antwortete Rojer. »Ich bringe ihn dir.«
»Nicht nötig«, erwiderte Leesha und stand auf. »Kümmere du dich lieber um das Feuer. Ich hole ihn selbst.«
»Nein!«, schrie Rojer und sprang auf die Füße, aber es war schon zu spät. Entgeistert zog Leesha seinen Kurierzirkel hervor.
»Aber …«, stammelte sie, »… den hatten diese Kerle uns doch weggenommen!« Sie sah Rojer an und merkte, dass er dem Tätowierten Mann einen seltsamen Blick zuwarf. Sie wandte sich an ihn, doch sein Gesicht wurde von der Kapuze überschattet und ließ keine Gemütsregung erkennen.
»Ich verlange eine Erklärung!«
»Wir … haben ihn uns zurückgeholt«, erwiderte Rojer lahm.
»Das sehe ich!«, schnauzte sie und schleuderte die zusammengerollte Schnur mit den Holztafeln auf den Boden. »Wie ihr das angestellt habt, will ich wissen!«
»Ich habe den Zirkel eingesteckt, als ich das Pferd holte«, warf der Tätowierte Mann plötzlich ein. »Um dein Gewissen nicht zu belasten, habe ich es dir verschwiegen.«
»Du hast den Zirkel gestohlen?«
»Die Banditen hatten ihn gestohlen«, verbesserte er sie. »Ich habe ihn lediglich zurückgeholt.«
Leesha musterte ihn lauernd. »Es war Nacht, als du ihn mitgenommen hast.«
Der Tätowierte Mann schwieg.
»Hatten sie den Zirkel benutzt?«, fragte Leesha durch zusammengebissene Zähne.
»Die Straße ist schon gefährlich genug ohne solche Verbrecher«, entgegnete der Tätowierte Mann.
»Du hast sie ermordet!«, klagte Leesha ihn an, und zu ihrer Überraschung füllten sich ihre Augen mit Tränen. Nimm das scheußlichste menschliche Wesen, das du kennst, hatte ihr Vater einmal gesagt, und wenn du nachts aus dem Fenster
schaust, wirst du noch viel Schlimmeres sehen! Kein Mensch verdiente es, an die Horclinge verfüttert zu werden. Nicht einmal diese Banditen. »Wie konntest du nur?«, hauchte sie.
»Ich habe niemanden ermordet«, widersprach der Tätowierte Mann.
»Sie schutzlos den Horclingen zu überlassen, läuft auf dasselbe hinaus!«
Der Mann zuckte die Achseln. »Mit euch haben sie doch genau dasselbe gemacht.«
»Ist das eine Entschuldigung?«, schrie Leesha. »Sieh dich doch an! Es kümmert dich nicht einmal! Mindestens zwei Menschen sind tot, und du kannst trotzdem ruhig schlafen! Du bist ein Ungeheuer!« Sie wollte mit ihren Fäusten auf ihn losgehen, doch er hielt ihre Handgelenke fest und sah ungerührt zu, wie sie sich gegen ihn wehrte.
»Warum hast du Mitleid mit solchen Verbrechern?«, fragte er.
»Weil ich eine Kräutersammlerin bin!«, kreischte sie. »Ich habe einen Eid geschworen! Ich habe geschworen, Menschen zu heilen, aber du«, sie maß ihn mit einem eisigen Blick, »du bist nur darauf eingeschworen, zu töten!«
Nach einer Weile verließ sie ihr Kampfgeist, und sie wich vor ihm zurück. »Du verhöhnst alles, was ich bin und alles, wofür ich stehe«, flüsterte sie, ließ sich auf den Boden sinken und starrte minutenlang ins Leere. Dann hob sie den Blick zu Rojer.
»Du hast ›wir‹ gesagt«, realisierte sie plötzlich.
»Was?« Der Jongleur versuchte, Verwirrung zu heucheln.
»Vorhin sagtest du: › Wir haben ihn uns zurückgeholt.‹ Und der Zirkel steckte in deiner Tasche. Bist du mit ihm gegangen?«
»Ich …«, druckste Rojer herum.
»Lüg mich nicht an, Rojer!«
Rojer senkte den Blick. Nach einer Weile nickte er.
»Er hat vorhin nicht die Wahrheit gesagt«, erklärte Rojer. »Er hat nur das Pferd mitgenommen. Während die Banditen abgelenkt waren,
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