Das Lied der Dunkelheit
schmerzlindernden Tee, andere wiederum versetzte sie mithilfe von Drogen in einen traumlosen Schlaf, bevor sie sie mit irgendwelchen scharfen Instrumenten operierte. Bruna arbeitete unermüdlich; sie nähte klaffende Wunden zu, legte heilende Breiumschläge auf und bandagierte.
Am späten Nachmittag merkte Leesha plötzlich, dass es keine Kranken mehr zu versorgen gab und dass sich auch die Eimerkette aufgelöst hatte. Sie fand sich allein mit Bruna und den Verletzten wieder; diejenigen, die überhaupt noch bei Bewusstsein waren, starrten dank Brunas Kräutern mit glasigem Blick ins Leere. Niemand schrie mehr vor Schmerzen.
Eine Welle aus Müdigkeit überkam sie; vor Schwäche sank Leesha auf die Knie und atmete tief durch. Jede Stelle ihres Körpers tat ihr weh, doch trotz ihrer völligen Erschöpfung empfand sie ein tiefes Gefühl der Zufriedenheit. Ein paar der Verwundeten hätten ohne Brunas Behandlung nicht überlebt,
und sie war stolz darauf, dass sie der Alten zur Hand gehen durfte. Auch sie hatte ihren Teil zur Rettung dieser Menschen beigetragen.
Aber die wahre Heldin war natürlich Bruna, daran bestand nicht der geringste Zweifel. Ihr fiel auf, dass die Alte ihr seit einigen Minuten keine Befehle mehr erteilt hatte. Sie blickte zu ihr hin und sah zu ihrem Schreck, dass Bruna zusammengesunken auf dem Boden lag und röchelte.
»Hilfe! Hilfe!«, schrie Leesha. »Bruna ist krank!« Ihre Mattigkeit war verflogen, sie sprang auf, rannte zu der Alten und hob sie in eine sitzende Stellung. Die Hexe Bruna schien kaum etwas zu wiegen, und unter ihren dicken Umschlagtüchern und wollenen Röcken fühlte Leesha fast nur Knochen.
Brunas Körper zuckte. Aus ihrem Mundwinkel rann ein dünner Speichelfaden und sammelte sich in den zahllosen Einkerbungen ihrer runzligen Haut. Ihre Augen, die unter einem milchweißen Schleier dunkel glänzten, stierten mit flackerndem Blick ihre Hände an, die heftig zitterten.
Verzweifelt sah Leesha sich um, doch sie entdeckte niemanden, der ihr hätte beistehen können. Bruna weiterhin stützend, griff sie nach einer der zuckenden Hände und massierte die verkrampften Muskeln. »Oh Bruna!«, flehte sie. »Was soll ich nur tun? Bitte! Ich weiß nicht, wie ich dir helfen kann. Du musst mir sagen, was ich machen soll!« Ein Gefühl der Ohnmacht übermannte Leesha, und sie fing an zu weinen.
Bruna entriss ihr die Hand, die sie immer noch knetete, und Leesha, die einen neuen Krampfanfall befürchtete, stieß einen lauten Schrei aus. Doch die Behandlung, die sie der Alten hatte angedeihen lassen, reichte aus, um Bruna die Kraft zu geben, in ihr Umschlagtuch zu fassen und einen Beutel herauszuziehen, den sie Leesha zuwarf. Dann schüttelte ein fürchterlicher Husten den zerbrechlichen Körper; Leesha konnte die Alte
nicht länger festhalten, Bruna sackte zu Boden, wo sie bei jedem neuerlichen Hustenanfall zappelte wie ein Fisch auf dem Trockenen. Vor Entsetzen war Leesha wie gelähmt und sah ein paar Augenblicke lang untätig zu, den Beutel mit einer Faust umklammernd.
Dann endlich hatte sie sich wieder soweit gefasst, dass sie sich an den Beutel erinnerte. Versuchsweise drückte sie ein paarmal darauf und merkte, wie die darin enthaltenen Kräuter knisterten. Als sie an dem Beutel schnupperte, stieg ihr ein Duft wie von einem Potpourri in die Nase.
Sie dankte dem Schöpfer. Hätte sich in dem Beutel nur ein einziges Kraut befunden, hätte sie nicht gewusst, wie sie es hätte dosieren müssen. Aber an diesem Tag hatte sie für Bruna genug Tinkturen und Tees zusammengemischt, um zu verstehen, was die Alte ihr gegeben hatte.
Schleunigst rannte sie zu dem Kessel, der immer noch über dem Dreifuß dampfte. Sie nahm einen Becher, bespannte die Öffnung mit einem hauchdünnen Stoff und streute eine dicke Schicht aus dem Kräutergemisch darauf. Langsam goss sie kochendes Wasser über die Kräuter, um deren Wirkstoffe aufzulösen. Zum Schluss verknotete sie die Kräuter geschickt in dem Tuch und warf es in das brühendheiße Wasser.
Während sie zu Bruna zurückeilte, blies sie auf das Gebräu, um es abzukühlen. Wahrscheinlich würde sich Bruna daran den Mund versengen, aber um es kalt werden zu lassen, reichte die Zeit nicht. Mit einem Arm hob sie Bruna an und drückte ihr den Becher an die mit Speichel besudelten Lippen.
Die Kräutersammlerin schlug um sich und verschüttete etwas von dem Heiltrunk, doch Leesha zwang sie, den Tee nach und nach zu schlucken, auch wenn ihr die gelbe
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