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Das Lied der Dunkelheit

Das Lied der Dunkelheit

Titel: Das Lied der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
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einzigen Nacht getötet.
    »Ich wünschte, ich wäre jemandem versprochen«, beklagte sich Mairy. Sie war eine hagere Vierzehnjährige mit hohlen Wangen und einer großen Nase. Als Frau stand sie voll in ihrer Blüte, doch trotz der Anstrengungen ihrer Eltern hatte sich noch kein Bewerber für sie gefunden. Elona bezeichnete sie als Vogelscheuche. »Kein Mann will seinen Samen zwischen diese knochigen Hüften ergießen«, hatte sie einmal gespottet. »Er müsste ja Angst haben, die Vogelscheuche zerbricht in zwei Teile, wenn dann später ein Kind geboren wird.«
    »Warte nur ab, es wird sicher bald so weit sein«, versuchte Leesha sie zu trösten. Mit dreizehn war sie das jüngste Mädchen in der Gruppe, doch die anderen scharwenzelten dauernd um sie herum. Elona meinte, das käme daher, weil sie hübscher und reicher war, aber Leesha konnte sich nicht vorstellen, dass ihre Freundinnen so berechnend sein sollten.
    »Hast du Darsy wirklich mit einem Stock geschlagen?«, wollte Mairy wissen.
    »So hat sich das Ganze nicht abgespielt«, stellte Leesha richtig. »Darsy hat irgendetwas verkehrt gemacht, und dann ging Bruna mit ihrem Stock auf sie los. Als Darsy ihr ausweichen wollte, stieß sie mit mir zusammen. Wir fielen beide hin, und Bruna prügelte so lange auf sie ein, bis sie weglief.«
    »Wenn die Alte mich angegriffen hätte, hätte ich zurückgeschlagen«, erklärte Brianne. »Mein Dad sagt, Bruna sei eine Hexe, und des Nachts treibt sie es in ihrer Hütte mit Dämonen.«
    »Das ist widerwärtiger Blödsinn!«, brauste Leesha auf.
    »Warum wohnt sie dann so weit außerhalb und nicht im Dorf?«, hielt Saira dagegen. »Und wieso lebt sie noch, wenn ihre Enkelkinder bereits an Altersschwäche gestorben sind?«

    »Bruna wohnt weitab von jeder Siedlung in dieser Hütte, weil sie Kräutersammlerin ist, und Heilkräuter nun mal nicht mitten in einem Ort wachsen«, antwortete Leesha. »Heute habe ich ihr geholfen, und ich kam aus dem Staunen nicht heraus. Ich dachte, die Hälfte der Verletzten, die man zu ihr brachte, müssten an ihren schweren Wunden sterben, aber sie hat sie alle gerettet.«
    »Hast du gesehen, wie sie sie mit Zaubersprüchen kuriert hat?«, fragte Mairy aufgeregt.
    »Bruna ist keine Hexe«, betonte Leesha. »Sie hat die Leute mit Kräutern, mit Messern und Nähfaden geheilt.«
    »Sie hat an Menschen herumgeschnitten?« Mairy schüttelte sich vor Ekel.
    »Also ist sie doch eine Hexe«, warf Brianne mit Nachdruck ein, und Saira nickte.
    Leesha bedachte die beiden mit einem wütenden Blick, und die Mädchen schwiegen. »Sie hat die Menschen nicht einfach aufgeschnitten, sie hat sie operiert und dadurch gesund gemacht«, korrigierte Leesha. »Es war … ach, ich kann es nicht erklären. Obwohl sie so alt ist, hörte sie nicht auf zu arbeiten, bis sie jeden Verletzten behandelt hatte. Als würde sie nur noch durch schiere Willenskraft aufrecht gehalten. Und gleich nachdem sie den letzten Verwundeten versorgt hatte, brach sie zusammen.«
    »Und dann hast du sie gerettet?«, erkundigte sich Mairy gespannt.
    Leesha nickte. »Kurz bevor ihr Husten einsetzte, gab sie mir noch das Heilmittel. Wirklich, ich habe nicht mehr getan, als aus den Kräutern einen Tee aufzubrühen. Ich hielt Bruna in den Armen, bis der Husten aufhörte, und so hat man uns schließlich gefunden.«
    »Du hast sie angefasst?« Brianne verzog das Gesicht. »Ich wette, sie stank nach saurer Milch und Unkraut.«

    »Beim Schöpfer!«, schrie Leesha. »Bruna hat heute einem Dutzend Menschen das Leben gerettet, und trotzdem lästerst du über sie?«
    »Meine Güte«, versetzte Brianne schnippisch. »Leesha rettet die Hexe, und plötzlich sind ihre Titten zu groß für ihr Korsett.« Leesha funkelte sie wütend an. Von den drei Mädchen war sie diejenige, die am wenigsten entwickelt war, und ihre flachen Brüste, die partout nicht wachsen wollten, waren ihr peinlich. Brianne hatte mit voller Absicht an ihren wunden Punkt gerührt.
    »Früher hast du genauso über Bruna hergezogen, Leesh«, hielt Saira ihr vor.
    »Das mag ja sein, aber jetzt tue ich es bestimmt nicht mehr«, entgegnete Leesha. »Bruna kann sicher sehr gemein werden, aber beim Schöpfer, sie hat es nicht verdient, dass man sie auslacht.«
    In diesem Moment kam Jona das Kind zu ihnen herüber. Er war siebzehn, aber zu klein und schmächtig, um eine Axt zu schwingen oder mit einer Säge umzugehen. Den größten Teil seiner Zeit verbrachte Jona damit, für die Leute im Dorf, die

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