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Das Lied der Dunkelheit

Das Lied der Dunkelheit

Titel: Das Lied der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
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das Alphabet nicht kannten, Briefe zu schreiben oder ihnen ihre Post vorzulesen; und da kaum einer der Einheimischen des Schreibens und Lesens mächtig war, hatte er immer gut zu tun. Leesha, die zu den wenigen Kindern gehörte, die lesen konnten, suchte Jona oftmals auf, um sich Bücher aus der Sammlung des Fürsorgers Michel zu borgen.
    »Ich soll dir etwas von Bruna ausrichten«, wandte er sich an Leesha. »Sie möchte …«
    Er unterbrach sich, als er rüde nach hinten gerissen wurde. Jona war zwei Jahre älter als Gared, doch der wirbelte ihn herum wie eine Papierpuppe; er packte ihn bei seiner Kleidung und zog ihn so dicht an sich heran, dass ihre Nasenspitzen
sich berührten. Mit einem gewaltigen Ruck hob der muskulöse Gared den viel kleineren Jona ein Stück in die Höhe.
    »Ich hab dir schon mal gesagt, dass du dich unterstehen sollst, mit meinem Mädchen zu sprechen«, knurrte Gared.
    »Hab ich doch gar nicht!«, verteidigte sich Jona, dessen Füße einen Zoll über dem Boden strampelten. »Ich wollte doch nur …«
    »Gared!«, schimpfte Leesha. »Du lässt ihn sofort wieder los!«
    Gared sah Leesha kurz an, dann heftete er seinen Blick wieder auf Jona. Dann wandte er sich in die Richtung, in der seine Freunde den Vorfall mit Häme beobachteten, und schaute abermals zu Leesha hin. Er öffnete die Faust und Jona krachte auf den Boden. Nachdem der unglückliche Junge sich hochgerappelt hatte, suchte er schleunigst das Weite. Brianne und Saira kicherten, aber mit einem wütenden Blick brachte Leesha sie zum Schweigen, ehe sie über Gared herfiel.
    »Was zum Horc ist in dich gefahren?«, schrie sie ihn an.
    Gared konnte ihr nicht ins Gesicht sehen. »Es tut mir leid«, stammelte er. »Es ist nur … na ja, ich bin den ganzen Tag lang nicht dazu gekommen, mit dir zu reden, und ich bin wohl durchgedreht, als ich gesehen habe, wie du mit ihm geredet hast.«
    »Oh, Gared!« Leesha streichelte seine Wange. »Du brauchst nicht eifersüchtig zu sein. Du bist der einzige Junge, der mir etwas bedeutet.«
    »Wirklich?«, vergewisserte sich Gared.
    »Wirst du dich bei Jona entschuldigen?«, wollte Leesha wissen.
    »Ja«, versprach Gared.
    »Dann bist du wirklich und wahrhaftig der Einzige, der mir lieb und teuer ist«, erwiderte Leesha. »Und jetzt geh wieder an
deinen Tisch zurück. Ich komme gleich zu dir.« Sie küsste ihn. Gared grinste breit und trollte sich zu seinen Freunden.
    »Ich vermute, einen Mann zu erziehen ist so ähnlich, als würde man einen Bären dressieren«, sinnierte Brianne.
    »Einen Bären, der sich gerade in einen Dornenbusch gesetzt hat«, legte Saira nach.
    »Lasst Gared in Ruhe«, warf Leesha ein. »Er hat ein gutes Herz und meint es nicht böse. Vielleicht hat er mehr Kraft, als ihm guttut, und manchmal ist er auch ein bisschen …«
    »Schwerfällig?«, half Brianne aus.
    »Begriffsstutzig?«, steuerte Saira bei.
    »Dumm?«, überlegte Mairy.
    Leesha schlug nach ihnen, und dann fingen alle an zu lachen.

    Gared saß in Beschützerpose neben Leesha. Er und Steave waren herübergekommen und hatten sich zu Leeshas Familie gesetzt. Das Mädchen wünschte sich, er würde den Arm um sie legen, doch das schickte sich nicht, auch wenn sie einander versprochen waren; erst wenn sie die Volljährigkeit erreicht und der Fürsorger ihre Verlobung formell bestätigt hatte, war eine gewisse körperliche Nähe erlaubt. Doch bis zu ihrer Hochzeitsnacht mussten sie sich auf harmlose Berührungen und Küsse beschränken.
    Trotzdem ließ Leesha sich von Gared küssen, wenn sie allein waren, aber dabei blieb es auch, egal, was Brianne dachte. Sie hielt sich an die Traditionen, denn ihre Hochzeitsnacht sollte ein ganz besonderes, unvergessliches Erlebnis werden.
    Und dann war da natürlich noch Klarissa, die so gern getanzt und mit den Jungen getändelt hatte. Sie hatte Leesha und
ihren Freundinnen die gängigen Tänze beigebracht und wie man sich Blumen ins Haar flocht. Da Klarissa ein überaus hübsches Mädchen war, hatte es ihr an Verehrern nicht gemangelt.
    Ihr kleiner Junge musste jetzt ungefähr drei Jahre alt sein, und immer noch gab es keinen Mann im Tal der Holzfäller, der ihn als seinen leiblichen Sohn anerkannte. Daraus schloss man, dass Klarissa sich mit einem verheirateten Kerl eingelassen haben musste, und während der Monate, als ihr Bauch sich rundete, hatte sie Fürsorger Michel in jeder einzelnen seiner Predigten daran erinnert, dass sündige Mädchen wie ihresgleichen den Fluch des

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