Das Lied der Dunkelheit
torkelte Elona und plumpste ausgelassen kichernd auf Steaves Schoß. »Du kannst in Leeshas Kammer schlafen«, bot sie ihm an. »Sie liegt gleich neben meiner.« Beim letzten Satz senkte sie ihre Stimme, aber sie war beschwipst, und alle hatten es gehört. Gared lief rot an, Steave brüllte vor Lachen, und Erny ließ den Kopf hängen. Leesha empfand Mitleid mit ihrem Vater.
»Ich wünschte, die Horclinge hätten sie letzte Nacht geholt«, murmelte sie.
Ihr Vater blickte sie an. »Sag das nie wieder«, ermahnte er sie. »So etwas wünscht man niemandem.« Er musterte sie so lange eindringlich, bis sie beschämt den Blick senkte.
»Außerdem«, fügte er traurig hinzu, »hätten sie sie wahrscheinlich gar nicht behalten, sondern gleich wieder zurückgegeben.«
Für alle, die ein Obdach benötigten, hatten sich Unterkünfte gefunden, und die Leute rüsteten sich bereits zum Heimgehen, als plötzlich Stimmengemurmel laut wurde und die Menge sich teilte. Durch die Gasse humpelte die Hexe Bruna.
Jona das Kind hatte die Alte stützend untergefasst. Leesha sprang auf und griff nach ihrem anderen Arm. »Bruna, du hättest nicht aufstehen dürfen«, tadelte sie die Frau. »Du brauchst Ruhe.«
»Du bist selbst schuld daran, dass ich nicht liegenbleiben konnte, Mädchen!«, schimpfte Bruna. »Da drin in dem Heiligen Haus befinden sich Menschen, die viel kränker sind als ich, und ich brauche Kräuter aus meiner Hütte, um sie zu behandeln. Wenn dein Leibwächter«, wütend funkelte sie Gared an, der erschrocken zurückprallte, »Jona nicht daran gehindert hätte, dir meine Botschaft auszurichten, dann hätte ich dich mit einer Liste der benötigten Heilkräuter losgeschickt. Aber dazu ist es jetzt zu spät, und ich muss dich begleiten. Die Nacht verbringen wir in meiner Hütte hinter den Siegeln, und morgen früh kommen wir zurück.«
»Wieso bist du ausgerechnet auf mich angewiesen?«, wunderte sich Leesha.
»Weil keines der anderen Mädchen hier lesen kann!«, kreischte Bruna. »Diese Frauenzimmer würden ein noch größeres Durcheinander anrichten als Darsy, die dusselige Kuh!«
»Jona kann lesen«, warf Leesha ein.
»Ich hatte mich angeboten, die Kräuter zu holen«, begann der Junge, aber Bruna rammte das Ende ihres Stocks auf seinen Fuß, und er unterbrach sich mit einem Schmerzensschrei.
»Kräutersammeln ist Frauensache, Mädchen«, erklärte Bruna. »Die Heiligen Männer sind nur dazu da, um zu beten, während wir diese Arbeit verrichten.«
»Ich …«, stotterte Leesha und warf einen hilfesuchenden Blick auf ihre Eltern.
»Ich halte das für eine großartige Idee«, mischte Elona sich ein, die sich endlich von Steaves Schoß erhob. »Meine Tochter
fasst es als Ehre auf, dir helfen zu dürfen«, fügte sie mit einem strahlenden Lächeln hinzu.
»Vielleicht sollte Gared auch mitgehen«, schlug Steave vor und verpasste seinem Sohn einen aufmunternden Fußtritt.
»Ihr könnt einen starken Mann gebrauchen, der morgen früh die Kräuter und Heilmittel schleppt«, legte Elona nach, und zog Gared von der Bank hoch.
Die greise Kräutersammlerin musterte erst Elona und danach Steave mit argwöhnischer Miene, doch zum Schluss nickte sie zustimmend.
Der Marsch zu Brunas Hütte war eine mühselige Angelegenheit und nahm viel Zeit in Anspruch, da die Alte sich nur mit schlurfenden Schritten vorwärtsbewegen konnte. Erst kurz vor Sonnenuntergang erreichten sie ihre Behausung.
»Kontrolliere die Siegel, Junge«, befahl Bruna Gared. Während er sorgfältig die magischen Symbole prüfte, bugsierte Leesha die Greisin in ihre Hütte, setzte sie in einen gepolsterten Sessel und deckte sie mit einer Steppdecke zu. Bruna atmete schwer, und Leesha befürchtete, sie könnte jeden Moment wieder einen Hustenanfall bekommen. Sie füllte den Kessel mit Wasser, legte Holz in den Kamin und sah sich nach Feuerstein und Stahl um.
»In der Schachtel auf dem Kaminsims«, krächzte Bruna, und da bemerkte Leesha das kleine hölzerne Kästchen. Sie öffnete es, doch darin befanden sich weder Feuerstein noch Stahl, sondern lediglich kurze Holzstäbchen mit einer Art Tonklumpen an den Enden. Sie nahm zwei heraus und versuchte, sie gegeneinanderzureiben.
»Doch nicht so, Mädchen«, schnauzte Bruna. »Hast du noch nie Zündhölzer gesehen?«
Leesha schüttelte den Kopf. »Mein Dad bewahrt ein paar in der Werkstatt auf, in der er Chemikalien miteinander vermischt, aber ich darf dort nicht hineingehen.«
Die Kräutersammlerin seufzte
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