Das Lied der Dunkelheit
stimmt es also?«, schrie Leesha. Mit voller Wucht stieß sie das Knie hoch, und heulend rollte Gared von ihr herunter. Sie sprang auf die Füße und brachte sich aus seiner Reichweite, ehe er sich soweit erholt hatte, dass er wieder nach ihr greifen konnte.
»Warum?«, herrschte sie ihn an. »Warum hast du diese Lüge verbreitet?«
»Das war Gerede unter Holzfällern«, stöhnte er, »es hatte nichts zu bedeuten.«
Noch nie in ihrem Leben hatte Leesha ausgespuckt, doch nun spuckte sie ihn an. »Es hatte nichts zu bedeuten?«, kreischte sie. »Wegen einer Belanglosigkeit hast du mein Leben ruiniert?«
Gared rappelte sich wieder auf die Beine, und Leesha wich vor ihm zurück. Er hob die Hände und blieb auf Abstand.
»Dein Leben ist doch nicht ruiniert«, widersprach er.
»Brianne weiß es!«, brüllte sie. »Und Saira und Mairy wissen Bescheid! Morgen tuschelt das ganze Dorf über mich!«
»Leesha …«, begann Gared.
»Wer noch?«, schnitt sie ihm das Wort ab.
»Was?«
»Wer weiß noch davon? Wie vielen Leuten hast du es erzählt, du Schwachkopf?«, blaffte sie.
Er schob die Hände in die Taschen und starrte auf den Boden. »Nur den anderen Holzfällern«, gestand er zögernd.
»Bei der Nacht! ALLEN Holzfällern hast du diese Lüge aufgetischt?« Leesha stürzte sich auf ihn und versuchte, ihm das Gesicht zu zerkratzen, aber er hielt ihre Hände fest.
»Beruhige dich!«, brüllte Gared. Er drückte mit seinen Pranken zu, und die Schmerzen, die durch ihre Arme schossen, brachten sie wieder zur Vernunft.
»Du tust mir weh«, erklärte sie so gelassen, wie es ihr nur möglich war.
»Das ist schon besser«, freute er sich und lockerte die Umklammerung, ohne sie loszulassen. »Aber es tut bestimmt nicht annähernd so weh wie ein Tritt in die Samenkapseln.«
»Du hast es verdient!«, fauchte sie.
»Ich gebe zu, ich habe einen Fehler gemacht«, räumte er ein. »Können wir uns jetzt wie zivilisierte Menschen unterhalten?«
»Aber nur, wenn du mich loslässt.«
Gared runzelte die Stirn, doch dann zog er schnell seine Hände zurück und wich ein Stück nach hinten, um sich nicht sofort den nächsten Fußtritt einzufangen.
»Wirst du den Mist, den du angerichtet hast, wiedergutmachen und allen sagen, dass du gelogen hast?«, fragte Leesha.
Gared schüttelte den Kopf. »Das geht nicht, Leesh. Ich würde dastehen wie ein Idiot.«
»Dann soll ich lieber dastehen wie eine Hure?«, konterte sie.
»Du bist keine Hure, Leesh, wir sind einander versprochen. Du bist nicht wie Brianne.«
»Schön«, höhnte Leesha. »Vielleicht sollte ich dann selbst ein paar Lügen verbreiten. Wenn deine Freunde dich schon vorher aufgezogen haben, was würden sie wohl dazu sagen, wenn ich ihnen erzählte, du seist nicht steif genug geworden, um den Akt zu vollziehen?«
Gared ballte eine seiner riesigen Fäuste und hob sie ein wenig in die Höhe. »Untersteh dich, Leesha! Ich habe mit dir viel Geduld gehabt, aber wenn du solchen Blödsinn über mich verbreitest, dann kannst du was erleben …«
»Aber du darfst über mich Lügen verbreiten?«, brauste sie auf.
»Sobald wir verheiratet sind, kräht ohnehin kein Hahn mehr danach«, wiegelte er ab. »Dann ist alles vergessen.«
»Ich werde dich nicht heiraten«, verkündete Leesha und merkte plötzlich, wie ihr eine große Last von der Seele fiel.
Gared funkelte sie zornig an. »Dir bleibt doch gar nichts anderes übrig«, tönte er. »Selbst wenn dich jetzt noch ein anderer haben wollte, zum Beispiel dieser Bücherwurm Jona oder sonst wer, dann würde ich ihn zusammenschlagen. Keiner aus dem Tal der Holzfäller nimmt sich, was mir gehört.«
»Genieße du nur die Früchte deiner Lüge«, zischte Leesha und wandte sich ab, bevor er ihre Tränen sah. »Denn eher würde ich mich einer Ausgeburt der Nacht hingeben als dir.«
Leesha musste all ihre Selbstbeherrschung aufbieten, um nicht in Tränen auszubrechen, während sie das Abendessen zubereitete. Jeder Laut, den Gared und Steave von sich gaben, bohrte sich wie ein Messer in ihr Herz. In der vergangenen Nacht hatte Gared sie in Versuchung geführt. Es hätte nicht viel gefehlt,
und sie wäre schwach geworden, obwohl sie genau wusste, was sie tat. Es war ihr schwergefallen, ihn abzuweisen, aber sie hatte geglaubt, sie müsse ihre Tugend bewahren. Im Traum wäre sie nicht darauf gekommen, dass er ihre Keuschheit mit bloßen Worten besudeln könnte, geschweige denn, dass er die Dreistigkeit besäße, sie vor dem ganzen Dorf
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