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Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)

Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)

Titel: Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Holeman
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zurückgerissen. Ein rauer menschlicher Schrei lässt Antonina verwirrt die Augen aufmachen, gleichzeitig hört sie ein krachendes Geräusch. Etwas starrt sie von ihrem Handrücken aus an. Sie zuckt zusammen, spürt, wie sich ihre Schultern anspannen, und bleibt in der einsetzenden Stille vor Schreck erstarrt liegen.
    » Tut mir leid, Gräfin, ich bitte Sie vielmals um Verzeihung « , hört sie von oben. » Eine Schwalbe … hier gibt es ein Nest. Sie hat mich erschreckt, und ich bin fast vom Gerüst gefallen. Ich habe mich an diesem Sockel festgehalten, und da ist er abgebrochen … Es tut mir leid, Gräfin. « In der Stimme des Mannes schwingt Panik mit.
    Antonina rappelt sich auf die Knie. Zu ihrer Rechten erblickt sie einen Haufen aus weißem und goldenem Gips, der in tausend Stücke zerbrochen ist. Halb darunter begraben sieht sie eine kleine goldene Putte, keine zehn Zentimeter groß. Wahrscheinlich ist sie auf ihre Hand gefallen. Jetzt liegt sie da, heil, abgesehen von einer winzigen Absplitterung an der Spitze eines ihrer glänzenden Flügel.
    Antonina nimmt die Putte und steht auf. Dann legt sie den Kopf in den Nacken, um zu dem Mann hinaufzusehen, der sich hoch oben über den Rand des Gerüstes lehnt. » Es tut mir furchtbar leid, Gräfin! « , ruft er erneut.
    Antonina nickt ihm zu, während sie den Engel umklammert. Sie weiß, was das bedeutet – dieser Kindsengel, der aus dem Himmel auf sie heruntergefallen ist. Die ganze Zeit hat sie auf ein kleines Zeichen gewartet, etwas, woran sie sich festhalten kann. Dann bekommt sie zuerst die Nachricht von Mischa, kurz darauf hat sie diese Vision, und nun ereignet sich der Vorfall mit der Putte. Wenn das kein Zeichen ist. Ihre Gebete wurden erhört.
    Genau wie der Engel auf sie heruntergefallen ist, ohne, von der angeschlagenen Flügelspitze abgesehen, Schaden zu nehmen, wird auch ihr Sohn unversehrt zu ihr zurückgebracht werden.
    Auf dem Weg zu ihrem Zimmer begegnet sie auf der Treppe Olga.
    » Wie geht es Ihnen heute Morgen, gnädige Frau? « , fragt die Haushälterin und mustert verstohlen Antoninas aufgerissene Lippe.
    » Es geht mir gut « , sagt Antonina. Sie verbirgt die Putte in den Falten ihres Kleides. Sie will so schnell wie möglich in ihr Zimmer zurück und über das Erlebnis nachdenken. Doch als sie es betritt, findet sie ihren Mann dort vor.
    » Was machst du hier? « , fragt sie.
    Er steht über ihren Schreibtisch gebeugt da. Die Schubladen sind aufgezogen, Papiere sind auf dem Boden verstreut. Ein Tintenfass ist ausgeleert. Tinka kauert zitternd hinter dem Sessel vor dem Kamin.
    » Ich suche mein Geld. Das du mir gestohlen hast « , sagt er barsch. Der rechte Ärmel seines Hemds wird vor seinem Armstumpf von Nadeln zusammengehalten.
    » Lass das, Konstantin « , sagt sie. » Ich stehle dir doch kein Geld. Ich bin deine Frau. « Sie bleibt bei der Tür stehen, ist auf der Hut.
    » Alle stehlen. Pawel habe ich entlassen, den nutzlosen Mistkerl. Ich habe ihn in meinen Reitstiefeln erwischt. «
    Antonina sieht verstohlen auf seine Füße; er ist barfuß. » Konstantin « , sagt sie sanft, » warte hier. Ich gehe nur rasch … «
    Aber schon stürzt er auf sie zu, und sein Gesicht ist jetzt bedrohlich dunkel angelaufen, fast pflaumenfarben. Einen Moment lang ist sie wie gelähmt vor Schreck, doch dann rennt sie auf den Flur hinaus und ruft nach Pawel und Lilja, nach irgendjemandem um Hilfe. Konstantin rennt ihr nach, packt sie an der Schulter. Sein fauliger Atem schlägt ihr entgegen, seine Pupillen sind riesig und schwarz. Dann hört sie aufgeregte Geräusche, die Rufe von Bediensteten, hastige Schritte, die sich auf der Treppe nähern. Tinkas verzweifeltes Gebell. Im nächsten Moment ist Grischa da und legt die Arme um Konstantins Oberkörper, zwingt ihn, Antonina loszulassen, doch er wehrt sich und versucht, mit seinem nackten Fuß nach ihr zu treten.
    Grischa bringt mit Unterstützung des ebenfalls herbeigeeilten Pawel den Grafen auf dessen Zimmer zurück. Antonina folgt ihnen, die Hand entsetzt vor den Mund geschlagen. Während Grischa ihren Mann umklammert, hält Pawel ihm eine Flasche unter die Nase. » Hier, Graf, atmen Sie ein, Graf. Kommen Sie, atmen Sie tief ein, wie sonst auch « , sagt Pawel.
    Konstantin nimmt einen tiefen Atemzug und wird augenblicklich ruhiger, lässt sich in einen Sessel drücken. Den Mund offen, die Augen geschlossen, sinkt er zur Seite.
    » Was hat er? Was ist los mit ihm? « , fragt Antonina.
    » Ich weiß es

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