Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
kennenzulernen. «
» Ja, wahrscheinlich. Und nun können Sie spielen, für wen Sie wollen und wo und wann Sie wollen. «
Walentin bemüht sich, den heiteren Gesichtsausdruck zu wahren, während er die zarte Porzellantasse hinstellt. Natürlich wird er ihr nicht verraten, wie sein Leben tatsächlich ist: der ewige Kampf um Aufträge, nie zu wissen, ob das Geld reicht, um sich neue Saiten oder Kolophonium zu kaufen, das man braucht, um sie zu pflegen. Und Madame Golizyna – ob sie inzwischen Ersatz für ihn gefunden hat? Wird er eine Bleibe haben, wenn er nach Sankt Petersburg zurückkehrt, nachdem seine Anstellung bei den Bakanews ausgelaufen ist? » Würde es Ihnen vielleicht helfen, wenn Sie mir von Ihrem Sohn erzählten? «
Antonina holt tief Atem und hält ihn an. Bringt sie es fertig, über Mischa zu sprechen? Walentin sitzt still, aber erwartungsvoll da.
» Nur, wenn es Ihnen nichts ausmacht, Antonina. « Wie sanft er ihren Namen ausspricht!
» Er … er ist im Juni zehn geworden. Er ist Musiker. Wie Sie « , sagt sie und versucht zu lächeln. » Er hat großes Talent zum Klavierspielen; er spielt schon, seit er drei war. Wie ein Engel. « Der Engel, der vom Kirchendach herunterfiel, kommt ihr wieder in den Sinn.
» Bestimmt hat er diese Begabung von seiner Mutter geerbt. «
Sie lächelt. » Wissen Sie, dass Sie mich an ihn erinnern, Walentin? « Sie ist selbst überrascht, als sie sich das sagen hört. Hat sie es schon bei seinem ersten Besuch erkannt?
» Weil ich ebenfalls Musiker bin? «
» Nun, ja, aber auch wegen Ihrer feinen Züge und Ihrem ausdrucksstarken Gesicht. Wann haben Sie zum ersten Mal diese musikalische Neigung in sich gespürt? «
Walentin sieht Antonina wehmütig an. » Das weiß ich nicht mehr. Ich erinnere mich nur, wie ich mit den anderen Jungen bei Desjatnikow spielte. Aber ich habe schon immer gespürt, dass ich eine eigentümliche Veranlagung habe. Ich sehe Farben, wenn ich Musik höre. Und ich weiß, dass das schon immer so war, denn manchmal ist es, als hörte ich ein Flüstern aus der Vergangenheit, wenn ich eine bestimmte Schattierung wahrnehme. «
» Das verstehe ich nicht. «
Walentins Gesichtszüge werden lebhaft. » Zu Anfang dachte ich, dass alle so empfinden wie ich. Wenn ich bestimmte Laute höre, sehe ich Farben. Beim Cello zum Beispiel ist es Rot. Abhängig von dem Können des Cellisten ist die Farbe klar und leuchtend oder hat verschiedene Schattierungen von Dunkelrot bis zu einem schlammigen Burgundrot. Die Farbe pulsiert in der Luft oder, wenn ich die Augen schließe, in meinem Kopf. « Er zählt auf, welche Farben er beim Klang von welchem Instrument erblickt.
» Wie merkwürdig und wunderbar. «
» Ja. Natürlich spreche ich nur selten darüber – die meisten fänden es seltsam, all jene, die nichts von der Macht der Musik wissen und was sie in unserem Geist bewirken kann. In unserer Seele. «
» Ich weiß, dass Michail schon als kleiner Junge Musik tiefer empfunden hat als ich « , sagt Antonina, und Walentin lehnt sich zurück.
» Wie kommt es, dass er entführt wurde? « , fragt er.
Antonina blinzelt. Mit einem Mal sind die Dinge im Raum zu hell, schmerzen ihr in den Augen.
» Tut mir leid. Wie dumm von mir, diese Frage zu stellen. «
» Walentin « , sagt sie, » was, wenn Mischa seine bisherige Kindheit vergisst, so wie Sie? Sie sagten, das Kind, das Sie waren, existiert nicht mehr. «
» Ich war damals bestimmt jünger als Ihr Michail. «
» Ja. Michail ist jetzt zehn. Er wird mich nicht vergessen. « Sie steht auf, Tränen in den Augen. » Oder doch? « Sie hat Mühe, das Gleichgewicht zu halten, und stützt sich an der Armlehne ihres Sessels ab.
Walentin tritt zu ihr, ergreift ihre Hände, hebt sie an seine Lippen und küsst sie. » Natürlich wird er Sie nicht vergessen. Er wird sich an jede Einzelheit Ihres wunderschönen Gesichts erinnern. Er kennt Ihren Namen und den Namen dieses Guts. Und er wird den Weg zu Ihnen zurückfinden. «
Antonina ist bewegt von dem Mitgefühl, das aus seinem Gesicht spricht, seiner Stimme, und ihr ist schummrig vor Augen. Sie hält sich an ihm fest.
» Man wird ihn finden « , murmelt er und legt den Arm um sie. » Ein Kind wie das Ihre – von adliger Abstammung, dessen Erziehung und Bildung und Talent man auf Anhieb erkennt – kann nicht einfach spurlos verschwinden. « Er küsst sie. Seine Lippen sind warm und weich.
Doch Walentins Lippen erinnern sie an die von Grischa und ihr unmoralisches
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