Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
wusste aber, dass man sich ihnen gegenüber unterwürfig verhalten musste.
» Ja. Spielst du mit ihnen? « Antonina dachte an die Buben der Leibeigenen auf dem Gut und ihre befremdlichen Spiele – sie spielten mit Schweinefüßen und Steinen und Stöcken. Aber ihr war es nicht erlaubt, mit ihnen zu reden, es sei denn, es handelte sich darum, ihnen einen Befehl zu erteilen.
Lilja zog die Stirn kraus. » Wir arbeiten zusammen auf dem Feld, Prinzessin. « Sie fürchtete, nicht die richtige Antwort gegeben zu haben, und überlegte, was der Prinzessin besser gefallen könnte. » Aber wenn wir eine Pause machen, um Wasser zu trinken oder zu essen, reden wir miteinander. Und manchmal, auf dem Nachhauseweg, singen wir Lieder, wenn wir nicht zu müde sind. Ich singe gern. «
Antonina nickte.
Sie scheint nicht verärgert zu sein, dachte Lilja, und betrachtete wieder das Grab. Sie wünschte, die Prinzessin würde wieder auf ihr Pferd steigen und weiterreiten. Mit ihren vielen Fragen machte sie ihr Angst.
» Du hast deinen Welpen wohl sehr gemocht, hm? «
» Gewiss, Prinzessin. «
Eine Weile herrschte Schweigen.
» Ich nehme an, Sie haben viele Hunde « , sagte Lilja, sie hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen.
» Mein Vater und meine Brüder haben Jagdhunde. « Antonina rief sich die drei eleganten, distanzierten Barsoi in Erinnerung, die sich auf dem roten Samtsofa oder dem dicken Wollläufer vor dem Kamin räkelten. Ihr Vater bürstete sie täglich, doch sie durfte die Hunde nicht berühren. Im Frühling benutzte er eine Bürste mit kräftigen Wildschweinborsten, mit denen er dem dichten Winterpelz der Tiere zu Leibe rückte. Sie erinnerte sich, wie sie sich als kleines Mädchen an ihren Vater lehnte und ihm beim Bürsten zusah, während er ein Lied summte.
Lilja leckte sich über die Lippen. Sollte sie jetzt wieder etwas sagen? » Aber einen eigenen Hund haben Sie nicht? « , fragte sie schließlich.
Antonina schüttelte den Kopf.
» Das ist aber schade. Ich werde bald einen neuen Welpen bekommen. Mein Vater hat’s mir versprochen. « Erneut blickte sie zu dem Grabhügel, sie wusste nicht, wohin sie sonst sehen sollte.
» Gut, dann lass uns jetzt für Romka ein Gebet sprechen « , sagte Antonina und stellte sich neben sie. Lilja überkam ein Gefühl der Erleichterung. So sollte es sein: Die Prinzessin sollte bestimmen, was zu tun war.
Seite an Seite beugten sie die Köpfe und falteten die Hände. » Welches Gebet willst du aufsagen? « , fragte Antonina, und Lilja begann zögernd: » In deine Hände, oh Herr, befehlen wir die Seele deines Dieners Romka « , und Antonina stimmte in das Totengebet ein, » und bitten dich inständig, ihm Frieden zu schenken, an dem Ort, wo alle Heiligen ruhen und den das Licht deines Antlitzes bis in alle Ewigkeit erleuchtet. «
Dann fügte Lilja hinzu: » Und bitte sei seiner Seele gnädig, oh Herr. «
» Amen « , sprachen beide und bekreuzigten sich.
Lilja pflückte ein paar winzige wilde Frühlingshyazinthen, kniete sich neben das Grab und legte die lila Blumen auf den Erdhügel.
Das Kopftuch war ihr auf die Schultern gerutscht, und während sie sich über Romkas Grab beugte, betrachtete Antonina ihren weißen Scheitel, der sich von dem dunklen Haar abhob.
» Wenn ich nächstes Mal in dein Dorf komme, zeigst du mir dann deinen neuen Hund? « , fragte Antonina.
Lilja rappelte sich schnell hoch und beugte den Kopf. » Ja, wenn Sie es wünschen, Prinzessin. « Vorsichtig hob sie den Blick. » Aber … warum? «
Antonina zuckte die Schultern. » Ich weiß nicht « , sagte sie, und das stimmte. Sie wusste nicht, was sie dazu bewog, sich mit Lilja unterhalten zu wollen, warum es ihr widerstrebte, sie zu verlassen.
Als ein Pferdeschnauben zu hören war, drehten sie sich um und erblickten Kescha und Semjon. Obwohl Antonina ihnen befohlen hatte, sich nicht von der Stelle zu rühren, waren sie näher gekommen; Antoninas Reitpony führten sie am Zügel mit sich. Sie waren so nahe, dass sie jedes Wort mitbekommen hatten.
Antonina schüttelte ärgerlich den Kopf. Andererseits wusste sie natürlich, dass die beiden nur ihre Pflicht taten. Wenn ihr etwas zustieße, würden Kescha und Semjon mit ihrem Leben bezahlen müssen.
Lilja, die sich nun noch unwohler in ihrer Haut fühlte, senkte abermals den Kopf. Sie fürchtete, die beiden bulligen Männer könnten annehmen, sie hätte sich erdreistet, die Tochter des Grundbesitzers anzusprechen. » Wenn Sie erlauben – darf ich
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