Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
nachzuholen und dir klarzumachen, wie wichtig gutes Benehmen ist. Ich muss dich auf irgendeine Weise bestrafen, zumindest brauchst du eine Art Züchtigung. « Er nahm die Hand von seinen Augen und sah Antonina an. » Ich kann dir das unmöglich weiter durchgehen lassen, deine Geheimniskrämerei, deine Lügen. Du brauchst Disziplin. Deine Heirat und deine Zukunft hängen davon ab. Du musst deinem Ehemann … du musst unbefleckt in die Ehe gehen, Antonina. «
Als könne er ihren Blick nicht länger ertragen, drehte er sich um und sah zum Fenster hinaus. » Eigentlich wäre es die Aufgabe deiner Mutter, diese Dinge mit dir zu besprechen. « Er räusperte sich. » Russland ist im Wandel begriffen « , fuhr er fort. » Wir müssen dafür kämpfen, dass die Verhältnisse bleiben, wie sie sind, damit unsere Kultur keinen Schaden nimmt. Mittlerweile gibt es einige, vor allem jene, die im Ausland waren, die offen für politische Experimente sind. Sie kritisieren die Leibeigenschaft, sehen darin die Ursache allen Übels. Aber die Leibeigenschaft ist kein Übel; sie ist notwendig. «
Beim letzten Satz erstarb seine Stimme beinahe.
» Wo stünden wir ohne die Leibeigenen, und wo stünden sie ohne uns, Antonina? Wo wären wir ohne diese vorbestimmte Ordnung? Wären die Leibeigenen glücklicher ohne unsere Führung, unsere Unterstützung? Nein. Sie sind wie Kinder, und wir – die adeligen Grundbesitzer – sind ihre Väter. Wenn sie die Regeln befolgen, behandeln wir sie gut, und wenn sie ungehorsam sind, bestrafen wir sie. Sie müssen verstehen, wie wichtig dieses System ist, und du musst das auch. «
Er sah sie erneut an.
» Die Leibeigenen verfügen nicht über die Fähigkeit, ein eigenständiges Leben zu führen, geschweige denn ein Land zu regieren. Wir, Antonina Leonidowna, Männer wie ich, und deren zukünftige Ehefrauen – also du, meine Tochter – müssen das Land rein halten. Wenn du dich beschmutzt, indem du dich mit einem Leibeigenen einlässt, leistest du dem Untergang Vorschub. «
» Beschmutzen, Papa? « Sie senkte den Blick zu Boden. » Ich habe nicht … ich habe nichts Falsches gemacht, Papa. « Plötzlich flammte die Erinnerung an Liljas Kuss wieder auf.
Eine Weile herrschte Schweigen. Antonina hätte nicht sagen können, wer von ihnen größere Verlegenheit empfand. Sie studierte das rot-violette Muster des Läufers. Das Abzeichen, das sie fallen lassen hatte, schimmerte neben ihrem rechten Fuß.
Prinz Olonow stieß einen langen, tiefen Seufzer aus. » Ich möchte dir so gern glauben, Antonina. Aber du hast mich schon zu oft angelogen. Du musst mir den Namen des Leibeigenen verraten, mit dem du dich getroffen hast. «
Antonina sah hoch. » Ich habe dir die Wahrheit gesagt, Papa. Ich habe mich mit keinem Mann getroffen. «
Ihr Vater starrte sie so lange an, dass Antonina nur mit Mühe dem Drang widerstehen konnte, ihren Blick abzuwenden.
Schließlich nickte Prinz Olonow. » Du bist starrköpfig. Vielleicht glaubst du im Moment, dass du wirklich etwas für ihn empfindest. Aber irgendwann wirst du mir seinen Namen sagen. «
» Wie soll ich dir einen Namen nennen, wenn es keinen Mann gibt, mit dem ich mich getroffen habe? «
Ihr Vater neigte den Kopf zur Seite. » Wenn du weiter dieses Spiel spielen willst, lässt du mir keine andere Wahl. Ich werde ihn schon ausfindig machen. Du lebst weiter in deiner Märchenwelt. Glaubst, dass es wahre Liebe ist, und willst loyal ihm gegenüber sein. Du wirst schon sehen, wohin dich das führt. Ein Leibeigener ist nicht zur Treue oder zu wahrer Liebe fähig. Ein Leibeigener wird mit der Sprache herausrücken, um seine eigene Haut zu retten. Ich habe es schon so oft erlebt. Die Knute hat noch jeden von ihnen zum Sprechen gebracht. «
Antonina musste an die blauen Flecken auf Liljas Kiefer und Hals denken, und es durchrieselte sie kalt. » Was meinst du damit? « , fragte sie.
» Du weißt genau, wovon ich spreche, Antonina. Wir werden hier, auf dem Gut beginnen. Als Nächstes kommt Kaschra an die Reihe, das nächstgelegene Dorf. Wir werden jeden Einzelnen befragen, ob er etwas gesehen hat. Es gibt immer einen, der etwas gesehen hat. Es gibt keine wirklichen Geheimnisse. Mit ein paar Rubel oder der Androhung von Strafe kann man jeden dazu bringen, den Mund aufzumachen. Du denkst vielleicht, es sei schwierig, diesen Mann zu finden, Antonina. Aber das ist es nicht, glaub mir. «
Antonina schluckte. » Das kannst du nicht machen, Papa, bitte. «
» Entweder du
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